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Die Familie von Neuhoff genannt von der Ley

geschrieben von Irene Lange im Mai 2017

Historische Adelstradition: Ein berühmter Vorfahre der Familie war einst König von Korsika

Er ist kein Unbekannter in Lüneburg: Jesco von Neuhoff, der zum einen als gelernter ­Industriekaufmann seit vielen Jahren erfolgreich seine Firma für haptische Werbung „JvN — Das Original UG“ mit Sitz in der Kastanienallee in Lüneburg. Zum anderen ist der leidenschaftliche Lüne­burger überall dort dabei – häufig auch als Orga­nisator –, wo es um Musik, Kunst und Kultur geht. Kaum jemand weiß hingegen, dass er den ­Titel „Jesco Freiherr Jesco von Neuhoff genannt von der Ley“ trägt und dass er zu einem Adelsgeschlecht gehört, das bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgt werden kann. Damit zählt er vermutlich zum ältes­ten Adel der Hansestadt. Der ungewöhnliche Namens­zusatz „genannt von der Ley“ ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass ein Zweig der von Neuhoffs — eine bergische Beamtenfamilie — seit dem 15. Jahrhundert die mittelalterliche Wasserburg Haus Ley besaß. Bis zum Aussterben dieser Linie im 17. Jahrhundert waren sie die recht­mäßigen Inhaber.
In der direkten Ahnenreihe des Familienzweiges bei Jesco von Neuhoff ist selbst ein König vertreten. Dieser war in ganz Europa bekannt als „König von Korsika“. Als Baron Theodor von Neuhoff kam er 1694 als Sohn des Offiziers Leopold von Neuhoff und dessen Frau Amélie in Köln zur Welt. Er verlebte eine unbeschwerte Kindheit auf dem Familiensitz Burg Pungelscheid, die urkundlich erstmals 1359 erwähnt wurde. Eine glänzende Kar­riere prophezeite man ihm später auf den Jesuitenkollegs in Köln und Münster. Doch zunächst vermittelte ihn die Mutter ab 1709 als Pagen in den Diensten der Herzogin Lieselotte von der Pfalz am Hof von Versailles. Die Duchesse war offensichtlich angetan von dem hübschen blauäugigen Beau, doch leider zeigte dieser schon in jungen Jahren eine Neigung zum Spielen und Geldverprassen. Der Schuldenberg wuchs, und in Paris wurde es für ihn ungemütlich, so dass er sich – auch auf Empfehlung seiner herzoglichen Gönnerin – aus der Stadt entfernte. In die kurbayrische Armee trat er als Rittmeister ein, doch hielt es ihn dort nicht lange.

Von seinem imposanten Auftritt waren die Korsen derart beeindruckt, dass er schon im gleichen Jahr von der Bevölkerung zu König Theodor I. von Korsika ernannt wurde.

Dank seiner ausgezeichneten Sprachkenntnisse zog es ihn bald quer durch Europa, immer auf der Suche nach Unterstützern und Geld. Durch seine charmante und gewinnende Art fand Theodor von Neuhoff beides bei einflussreichen Gönern. Sein verschwenderischer, unbedarfter Lebensstil wurde ihm bald zum Verhängnis; Fortuna war ihm nicht wohlgesonnen, er verlor hohe Summen beim Glücksspiel und machte weiterhin Schulden. Dieses Spiel trieb er schließlich so weit, dass er zeitweise in Arrest genommen und in der Festung Kehl inhaftiert wurde.
Später verdingte er sich als Agent für verschiedene europäische Länder, bis es ihm gelang, das Vertrauen einiger Minister in Wien zu gewinnen, die ihn 1732 als Agenten in Florenz einsetzten. Hier erfuhr Theodor zum ersten Mal Hintergründe über die korsische Unabhängigkeitsbewegung gegen die damals noch bestehende Republik Genua, zu der die Insel gehörte. Zu dieser Zeit stand das ­Eiland unter der Herrschaft der Genueser, die es rücksichtslos ausbeuteten. Durch seine Verbindungen gelang es ihm, die Freilassung von Führern der Korsen zu erreichen, die nach Genua verschleppt worden waren. Dies machte ihn zu einem Hoffnungsträger für das korsische Volk, das ihm schließlich sogar den Königstitel anbot, sollte er genügend Unterstützung durch Waffen und Geld für ihren Freiheitskampf organisieren können. So machte sich Theodor von Neuhoff auf eine Reise quer durch Europa und ums Mittelmeer, um die geforderten Mittel zu beschaffen. Tatsächlich gelang es ihm, mit einem britischen Schiff und reichlich Waffen und Geld am 12. März 1736 nach Korsika zurückzukehren, gekleidet in eine prächtige Fantasieuniform, bestehend aus einem langen Kaftan aus scharlachroter Seide, einer maurischen Hose, gelben Schuhen, einem spanischen Hut und einem Zepter. Von seinem im­posanten Auftritt waren die Korsen derart beeindruckt, dass er schon am 15. April des gleichen Jahres von einem Konvent der korsischen Bevölkerung zu König Theodor I. von Korsika ernannt wurde.>

Um seine neue Machtposition zu festigen, machte er sich flugs ans Werk. Zunächst erließ er eine Verfassung, die besagte, dass er zwar erblicher König, jedoch in der Regierung auf die Zustimmung von 24 frei gewählten Korsen angewiesen sei. Der Erfolg gab ihm — zumindest vorerst — Recht. Er vereinfachte das Steuersystem, ließ Münzen prägen und stellte ein kleines Heer zusammen. Doch gelang es ihm nicht, die Genuesen zu vertreiben, was man ihm verübelte. Als er die Insel schließlich verließ, um Ver­stärkung zu holen, wurde ihm die Rückkehr verwehrt. Doch so schnell gab ein von Neuhoff nicht auf. Erneut begab er sich auf die Suche nach Sympathisanten für seine „korsische ­Sache“. Zwar gelang es ihm, Schiffe zu organi­sieren, doch inzwischen hatten sich die Franzosen mit den Genuesen verbündet und verhinderten die Einfahrt in den Hafen von Korsika. Einen neuen Hoffnungsträger fanden die Korsen schließlich in Pasquale Paoli. Von ihrem König wollten die Korsen seither nichts mehr wissen. Er wurde abgesetzt und zog sich enttäuscht nach England zurück. Nach seinem siebenmonatigen Königs­dasein lebte er dort noch einige Jahre in bitterer Armut im Schuldgefängnis, bis er am 5. Dezember 1756 im Hinterzimmer eines Schneiders starb.
Sein Jammer ist überliefert: „Ich bin Theodor, man hat mich in Korsika zum König gewählt, man nannte mich ‚Eure Majestät‘, und jetzt nennt man mich mit Müh und Not ‚Herr‘.“ In seinem Roman „Candide“ (1759) setzte Voltaire dem Baron Theo­dor von Neuhoff aus dem sauerländischen Pungel­scheid ein Denkmal. Über zwei Jahrzehnte reis­te er rastlos durch Europa, immer auf der Suche nach dem großen Coup, der ihm schließlich gelang, wenn auch nur für kurze Zeit. Vergessen ist er nicht, denn seine Geschichte ist vielfach in Literatur und Musik verarbeitet worden, unter anderem auch in einem Buch über „Rand­figuren der Geschichte“ von Theodor Heuss oder in „Der König von Korsika“ vom Freiherrn von Engelhardt. Zum Todestag des Barons Theodor von Neuhoff brachte der NDR am 11. Dezember 2016 einen Bericht über den „korsischen Kurzzeitkönig“ in der Sendung „Zeitzeichen“.
Wenn nun eine solch schillernde Persönlichkeit in der eigenen Ahnenreihe zu finden ist, liegt es auf der Hand, sich zu fragen, ob vielleicht der eine oder andere Wesenszug weitervererbt wurde. So auch der Lüneburger Nachfahr Jesco von Neuhoff. Ambitionen wie jene, die Theodor von Neuhoff schließlich zu Fall brachten, liegen ihm sicher nicht. Vielmehr erreicht er mit Diplomatie und Kreativität seine Ziele, wobei ihm ebenso seine Umtriebigkeit wie seine kommuni­kative und liebenswürdige Wesensart behilflich sind.(ilg)

Fotos: Sammlung Jeco von Neuhoff

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