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Die lautlose Jägerin der Nacht

geschrieben von Irene Lange im März 2019

er schon einmal den schrillen, kreischenden Ruf einer Schleiereule vernommen hat, kann sich vorstellen, dass er den abergläubischen Menschen im Mittelalter mehr als unheimlich war. Aber noch bis heute wird daran geglaubt, dass Eulen den Tod ankündigen könnten. Bis in die Neuzeit wurden Schleiereulen in einigen Gegenden Deutschlands getötet und zur Abwehr von Unheil an Scheunentore oder Hausbalken genagelt.
Dabei haben sich die Schleiereulen (wissenschaft­licher Name: Tyto alba) von allen Eulenarten dem Menschen am engsten angeschlossen. Denn diese wunderschönen Vögel mit ihren weißen herzförmigen Gesichtern, die durch die Befiederung wie Schleier wirken, brüten nämlich überwiegend in Gebäuden; durch das Verschließen von Kirchen, Scheunen und Dachböden finden sie indes immer weniger Plätze. Auch die Intensivierung der Landwirtschaft, nicht zuletzt durch den verstärkten Anbau von sogenannten Energiepflanzen wie z. B. Mais bereitet den Vögeln große Probleme, denn dadurch gehen ihnen Nah­rungs­reviere verloren. Zudem werden sie häufig zu Verkehrsopfern, wenn sie an Straßengräben und -böschungen jagen, weil es dort in der Regel mehr Mäuse gibt als auf den anschließenden Feldflächen.
Schon 1977 wurde die Schleiereule durch den Deutschen Bund für Vogelschutz (DBV), heute Naturschutzbund Deutschland (NABU), zum Vogel des Jahres ernannt. Seither wurden Schutzmaßnahmen für die seinerzeit stark gefährdete Vogelart umgesetzt. So besteht auch für den Raum Lüneburg eine entsprechende Arbeitsgruppe des NABU, in der speziell für den Landkreis zur Zeit Volkmar Ziese und Dietmar Zücker aktiv sind. Neben Beratungen rund um das Thema Eulen ist der Schwerpunkt ihrer Arbeit der Bau und die fachgerechte Installation von Schleiereulen-Nistkästen sowie deren fortlaufende Kontrolle, die auch von weiteren Eulenfreunden wahrgenommen wird, und die Erfassung der Bestände. Bisher sind ca. 30 Kästen in verschiedensten Gebäuden im Landkreis installiert worden.
Zur Zeit sind im engeren Umfeld der Hansestadt sechs Brutnachweise festzustellen. „Es könnten aber noch einige hinzukommen“, meint Volkmar Ziese. „Dort, wo Kästen sind, sind wir auch auf Informationen durch die Anwohner angewiesen, um zu erfahren, was sich dort tut“, erklärt er. Diese Information sei für die Bestandserfassung wesentlich. Inzwischen seien mindestens 14 Schleiereulen im letzten Jahr gezählt worden.

Große Sorgen bereitete den Eulenschützern die Situation in den Kältewintern 2009/10, 2010/11 und 2012/13. „Da haben wir allein im Landkreis Lüneburg fünf verhungerte Schleiereulen aufgefunden, die nur noch ein Gewicht von circa 200 Gramm hatten, wobei das Normalgewicht bei etwa 320 Gramm liegt“, erinnert sich Dietmar Zücker. Schon bei einigen Zentimetern Schnee­lage wird es für die Vögel mit der Nahrungssuche eng. Sie können keine Fettreserven bilden und verhungern elendig.
Die Hauptnahrung der Schleiereulen besteht aus Mäusen und Ratten; zur Not können es auch andere Kleintiere sein. Im Gegensatz zu anderen Eulenarten verschmähen sie auch Spitzmäuse nicht. Deshalb ist es wichtig, dass auf landwirtschaftlichen Gehöften die Scheunen oder auch andere Gebäudeteile offengehalten werden, damit sich Schleiereulen ansiedeln können. „Dann fangen sie den Bauern die Mäuse und Ratten weg“, verspricht Volkmar Ziese.
Bis auf ihre gelegentlichen Rufe lässt sich ein Bestand an Schleiereulen nicht leicht feststellen. Aktiv wird die Eule erst bei Nacht, während sie den Tag meist dösend, fast bewegungslos an eine Wandnische gedrückt verbringt. Mit Einbruch der Dunkelheit – meist eine Stunde nach Sonnenuntergang – öffnet sich der Gesichtsschleier zur kreisrunden Scheibe. In gewohnter Umgebung macht ihr völlige Dunkelheit nichts aus. Da ihr Flug absolut geräuschlos ist, überrascht sie ihre Beute mit schnellem und sicherem Zugriff, dank langer Beine und dünner Krallen.
Normalerweise sind Schleiereulen Einzelgänger. Lediglich in der Paarungszeit nähern sich Männchen und Weibchen an, wenn dieses in Stimmung ist. Dann ist gegenseitiges Gefiederkraulen, Schnäbeln und auch Fauchen angesagt, wobei der weibliche dann durchaus der aktivere Teil ist. Generell ist die Fortpflanzung jedoch vom Nahrungsangebot abhängig – das heißt: mehr Mäuse, mehr Eier im Gelege. Normalerweise sind es vier bis sieben, ausnahmsweise aber auch bis zu elf Eier. Von den geschlüpften Jungen werden allerdings nicht alle überleben. Nur ein kleiner Prozentsatz der Jungeulen wird überhaupt älter als vier Jahre. Dennoch – es kann in freier Natur auch ein Höchstalter von bis zu 20 Jahren erreicht werden.
Aufgrund der vorgenannten verschiedenen Einflüsse ist der Bestand auf­fällig schwankend. Auch für den Lüneburger Raum ist trotz aller Mühen der Naturschützer die Prognose nicht gerade positiv. Trotzdem ist die Schleiereule zunächst aus der roten Liste der gefährdeten Arten entlassen worden. Unsere Natur wäre ein Stück ärmer, wenn diese Vogelschönheit aussterben würde.

Fotos: Pixabay © dannymoore1973, Enno Friedrich, NABU

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