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Die Welt bunter machen

geschrieben von Ina Freiwald im Juni 2018

Jonathan Sachau verschönert mit „Dosenfutter“ die Lüneburger Innenstadt

Ein Straßenzug der Altstadt, die Nicolai-Kirche, in die Luft springende Wassertropfen, das Lüneburger Stint-Wahrzeichen mit Wellen, ein knallbunter Kolibri: Wo auch immer man in Lüneburg unterwegs ist, kann man die Kunst von Jonathan Sachau auf Stromkästen, Mauern und Hauswänden bestaunen. Der Graffiti-Künstler führt mit seinem Unternehmen „Dosenfutter“ Aufträge von öffentlichen Trägern und Privatleuten aus und sprüht dabei im wahrsten Wortsinn vor Ideen. „Am liebsten verschönere ich Hauswände, weil da einfach genug Platz ist, um seine Visionen umzusetzen“, erklärt der 34-Jährige. Unterstützen lässt er sich dabei gerne von dem Spray-Künstler Christian Thomas.
Gemeinsam haben sie erst Ende April die Mauer um eine Sitzfläche des Bistros „Lüneria“ gegenüber dem Bahnhofsgebäude gestaltet. „Das war damals ziemlich hässlich, keine besonders hübsche Ecke.“ Da dort vor allem Pizzen konsumiert werden, etablierte Jonathan Sachau toskanisches Flair mit einem scheinbar in die Wand versenkten aufgesprühten Steinofen. Eine mediterrane Terrasse ist dort entstanden, die gerne frequentiert wird.
Als „Hamburger Jung“ verbindet ihn mit der Salzstadt sein Studium an der Leuphana: Kunst auf Lehramt, dazu noch die Fächer Englisch und Deutsch. Nach dem ersten Staatsexamen machte er seinen Master in Erziehungswissenschaften in Hamburg. „Das kann ich heute gut gebrauchen, wenn ich in meinen Workshops Kindern und Jugend­lichen die Elemente der Street-Art- und Graffiti-­Kultur vermittele.“ Sowohl an Schulen im Rahmen von Projektwochen als auch in Jugendzentren oder VHS-Kursen für Erwachsene gibt Jonathan Sachau seine Kenntnisse und Erfahrungen weiter. „Man hat beim Sprühen zwar sehr schnell Erfolgserlebnisse“, sagt er lachend, „aber die ersten Male gehen immer schief.“ Denn während der Laie davon ausgeht, man müsste für den puren Farbauftrag einfach nur die Dose gerade halten und mit dem Zeigefinger den Sprühknopf drücken, wissen alle, die das schon mal ausprobiert haben, dass der Abstand zum Objekt eine entscheidende Rolle spielt. Daher erklärt der Künstler seinen Schülern gleich im Vorfeld: „Wer die Dose zu weit weg hält, ver­nebelt die Farbe. Hält man sie dagegen zu nah an die Wand, verläuft sie, und es entstehen die so ­genannten „Nasen“. Auch zum Hintergrund lässt sich Spannendes erzählen: Graffiti ist der Plural des aus dem Italienischen stammenden Wortes „graffito“. Es leitet sich etymologisch aus dem Griechischen ab, was soviel wie „Schreiben“ und „Zeichnen“ heißt. Im Italienischen bedeutet derselbe Begriff ursprünglich Schraffur und bezeichnet eine in Stein geritzte Inschrift oder eine ornamentale, figurale Dekoration

Es gibt jede Menge verschiedener Graffiti-Formen, die für Außenstehende schwer zu unterscheiden sind. Eine durch den weltweit bekannten britischen Künstler Banksy populär gewordene Form ist die Streetart, bei der in den meisten Fällen die Farben mit angefertigten Schablonen auf die Wände aufgetragen werden. Neben der Umsetzung von Schablonen-­Graffiti installierte Banksy auch zahlreiche eigene Arbeiten unautorisiert in Museen. So bereicherte er den Pariser Louvre mit einer Mona Lisa mit ­Smiley-Gesicht und bestückte in New York gleich vier große Museen. Es dauerte mal Tage, mal Stunden, bis die eingeschmuggelten Werke vom Mu­seumspersonal entdeckt und entfernt wurden. Im Osten Londons sprühte er mit Schablonen in Schwarz und Rot ein Mädchen, das einen Herz-­Ballon davonfliegen lässt. „Balloon Girl“ wurde später aus der Hauswand des Geschäftslokals herausgetrennt, erzielte gerahmt bei einer Versteigerung über 500.000 Euro und wurde im Juli 2017 zum Lieblingsbild der Briten gewählt.

„Leider verbinden viele mit Graffiti nur das so genannte Style-Writing, Graffiti-Writing oder kurz Writing, weil die Schriften von der Allgemeinheit am stärksten wahrgenommen werden.“ Beim Writing bildet die Schrift (Buchstaben und Zahlen) das Basiselement der Bildkomposition. Die häufige Verbreitung des Namens oder vielmehr des Pseudonyms in Kombination mit dessen möglichst einzigartiger, innovativer und vor allem ästhetischer Gestaltung bildet das zentrale Ziel, nämlich ein Höchstmaß an Ruhm zu erlangen. Die ­Ästhetik steht dabei jedoch im Vordergrund. Ein Writer, der viel malt, aber keinen guten Stil hat, erhält selten Anerkennung. Es kann soweit kommen, dass Writer exklusive Hoheitsansprüche an ein bestimmtes Gebiet stellen und „Eindringlinge“ rigoros übermalen, teilweise sogar gewaltsam gegen diese vorgehen.
Jonathan Sachau selbst hat in seinen Anfangsjahren solche Erfahrungen nicht gemacht. „In unserer Community unterstützen wir uns gegenseitig, und dazu gehört auch das ungeschriebene Gesetz, dass man die Werke eines anderen Sprayers nicht übertüncht.“ Doch wie bei vielen anderen Gesetzen gibt es auch hier eine löbliche Ausnahme, nämlich bei dem haltlosen, völlig unästhetischen Beschmieren von Hauswänden, Türen, Telefonzellen. „Ich habe mal in Hamburg gesehen, dass ein Typ über Monate immer wieder eine Wand besprühte, und der Hausbesitzer diese dann wieder über­malen ließ. So ging das ewig hin und her und kos­tete bestimmt auch eine gute Stange Geld.“ Jonathan Sachau kennt dagegen ein probates Mittel, sagt er mit einem Augenzwinkern: „Einfach anrufen! Denn bei uns Sprayern ist das wie bei den Tätowierern: Mit etwas Liebe und Talent kann man jede Fläche retten.“(if)

Fotos: Enno Friedrich, Dosenfutter

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