Das „Dragoner-Denkmal“
geschrieben von Prof. Dr. Werner H. Preuss im April 2013… im Clamart-Park (Teil II)

Bis zum Ende des 1. Weltkriegs stand in Lüneburg das 2. Hannoversche Dragoner-Regiment Nr. 16, die „Heidedragoner“. Nach dem Friedensvertrag von Versailles 1919, den die Mehrheit der Deutschen als demütigend empfand, hegten viele der überlebenden Soldaten, die Jahre ihres Lebens im Schmutz und Elend des Krieges für nichts hingegeben hatten, den Wunsch nach Revanche.
Das 2. Hannoversche Dragoner Regiment Nr. 16 wurde aufgelöst. Ein Teil organisierte sich in paramilitärischen Verbänden. Als im Oktober 1919 die Eskadron (Schwadron, berittene Hundertschaft) von Bothmer, die als Teil des Freikorps „Feldmarschall Hindenburg“ bis dahin das Hauptquartier der Obersten Heeresleitung in Kolberg geschützt hatte, nach Lüneburg zurückkehrte, wurde sie von Oberbürgermeister Dr. Hermann Schmidt begrüßt:
„Auf ruhmreiche Zeiten, kriegerische Taten könne sie zurückblicken. Die Tugenden, die dem Regiment früher eigen gewesen wären, der Geist der Ordnung und Unterordnung, sollte sie [die Eskadron] sich befleißigen, mit zu übernehmen. Durch Ordnung und Pflichtbewusstsein könnte und müsste sie mitwirken am Aufbau unseres Vaterlandes. Hierin sollte mit gutem Beispiel die Reichswehr vorangehen. [...] Sollte der Ruf noch einmal an die Schwadron gelangen: ‚Heran an den Feind‘, dann möge es der Schwadron vergönnt sein, denselben Ruhm zu erlangen. Nochmals hieß er sie im Namen der alten Heidestadt herzlich willkommen und schloss mit dem Wunsche, dass in langen Jahren voll Ruhe und Frieden das alte Vertrauensverhältnis zwischen Regt. [Regiment] und Einwohnerschaft sich wieder anbahne.“ Am 1. September 1921 zogen die 3. und 4. Eskadron des 13. Preußischen Reiter-Regiments in die Lüner Kaserne ein. Die 3. Eskadron übernahm die Tradition des 2. Hannoverschen Dragoner-Regiments Nr. 16.

Das Denkmal zeigt einen Reiter in der Friedensuniform des 2. Hannoverschen Dragoner-Regiments Nr. 16. Die Darstellung eines trabenden Pferdes ist selten.
Am 17. September 1922 wurde im Park am Schifferwall das erste Denkmal für die im 1. Weltkrieg „gefallenen Kameraden“ des Dragoner-Regiments Nr. 16 und der Reserve-Kavallerie-Abteilung Nr. 78 eingeweiht, das von ehemaligen Dragonern und Lüneburger Bürgern bezahlt worden war. In der Predigt kam der ehemalige Garnisonspfarrer Reuter, der am 6. August 1914 schon den „Abschieds-Gottesdienst“ für das Regiment gehalten hatte, auf die Stimmung zu sprechen, aus der heraus das Monument geschaffen wurde: „Dies Denkmal solle uns an die Toten erinnern, deren Liebe zum Vaterlande stärker war als der Tod. Nun sei der Krieg vorbei und viele wollten von ihm nichts mehr hören und sehen. Das sei auch ganz natürlich, denn jetzt würden alle Kräfte dazu gebraucht, um den Wiederaufbau zu bewerkstelligen. Den Toten aber bewiesen wir unsere Dankbarkeit am besten dadurch, dass wir lebten, wirkten, arbeiteten und nicht verzweifelten.“ Die „Lüneburgischen Anzeigen“ berichteten damals:
„Das Denkmal steht inmitten prächtiger gärtnerischer Anlagen. An einer hohen Sandsteinsäule steht ein trauernder Dragoner, den Blick nach unten gesenkt. Er hat die Hand am Zügel seines Pferdes, das gleichfalls in Trauer den Kopf zur Erde geneigt hat. Über dem Bildwerk ist ein eisernes Kreuz mit den Zahlen 1914-1918. Unter dem Bildwerk befindet sich die Inschrift: „Den für das Vaterland gefallenen Kameraden des zweiten hannoverschen Dragoner-Regiments Nr. 16 und der Reserve-Kavallerie-Abteilung Nr. 78.“ Die Schöpfer des Denkmals sind die Architekten [Wilhelm] Matthies und [Leonhard] van den Bergh in Bardowick. Nach ihrem Entwurf hat der Bildhauer Ludolf Albrecht in Hamburg die Figur geschaffen. Die Steinmetz- und Aufstellungsarbeiten wurden vom Bildhauer Ernst Meyer in Lüneburg besorgt. Lüneburg ist damit um einen schönen Schmuck reicher geworden.“
Später waren auch die Namen der Toten an dem etwa 4,50 Meter hohen, „in festem Sandstein gefertigten Denkmal“ zu lesen, rechts die der Res.-Kav.-Abtlg. 78, links die der 5. und 6. Eskadron, auf der Rückseite die der 1. – 4. Eskadron. Mit den Jahren alterte der Sandstein unschön. Er wurde grau, die Schrift undeutlich. Dieser Umstand kam in den 1930er Jahren dem Wunsch nach einem neuen Denkmal sehr entgegen.
Denn das Bild des Friedens, in dem Reiter und Pferd endlich ausspannen können, entsprach nicht mehr dem wieder aufgerüsteten Zeitgeist. Lüneburg brauchte ein neues „Dragoner-Ehrenmal“. Um es zentral gelegen in den Anlagen an der Roten Straße errichten zu können, musste zunächst das Denkmal für die toten Soldaten des Deutsch-Französischen Krieges in den hinteren Teil des Parks versetzt werden. Auch dieses Denkmal der mütterlichen Trauer um den sterbenden Sohn war 1939 nicht mehr vorzeigbar.
Am Pfingstsonntag, dem 28. Mai 1939, wurde das neue „Dragoner-Ehrenmal“ eingeweiht: „Unter den schmetternden Klängen der Kavallerie-Retraite [Teil des „Großen Zapfenstreichs“], die schon so oft die Reiter zum Sammeln gerufen, fiel die Hülle um das kraftgespannte Bronzestandbild des lanzenbewehrten Meldereiters, der sein Pferd aus dem Frieden der Grünanlagen am Roten Tore hinauslenkt, gleichsam hinaus in die kampffrohen Weiten, die von jeher echter niedersächsischer Reitergeist suchte.“ Um diesen Eindruck noch zu verstärken, rodete man die Bepflanzung des Parks und öffnete „die Weite des grünen Hintergrundes“. (Lüneburgische Anzeigen).
Das von Emil Cauer entworfene Denkmal wirkt nicht überzogen pathetisch oder heroisch. Es zeigt einen Reiter in der Friedensuniform des 2. Hannoverschen Dragoner-Regiments Nr. 16. Die Darstellung eines trabenden Pferdes ist selten, die Haltung von Ross und Reiter ganz natürlich. Zwei weitere, inzwischen eingeschmolzene Reiterstandbilder von Cauer in Potsdam (1929) und Ludwigslust (1932) waren dagegen bewegungslos.
Dem Lüneburger Denkmal fehlt jeder Ausdruck von Trauer. Wie hier dargestellt sah man die Dragoner vor 1914 sicher häufig durch das Gelände reiten. Doch bei allem Realismus blendet das Bild das Wichtigste aus: den realen Wahnsinn des Krieges, das Töten und Getötetwerden. Als sie starben, trugen die Dragoner nicht mehr die bunte Friedensuniform; ihr Lebensende sah ganz anders aus. Angeblich waren auf einer Tafel des Denkmals sogar die Verse zu lesen, mit denen der erste Teil der Regimentsgeschichte im 1. Weltkrieg schließt: „Glücklich, wem im Siegesglanze der Tod den blutigen Lorbeer um die Stirne windet!“ Das ist frei nach Goethes „Faust“ (1. Teil, Studierzimmer, Vers 1573-1576) zitiert, wo dieser voll Lebensekel seinen plötzlichen Tod herbeiwünscht: „O selig der! dem er im Siegesglanze / Die blut’gen Lorbeern um die Schläfe windet, / Den er, nach rasch durchras’tem Tanze, / In eines Mädchens Armen findet.“ Hätten die Kriegstoten nicht gewünscht, wenigstens in den Armen ihrer Liebsten zu sterben?
An der Front des hohen Granitsockels ist in Bronzebuchstaben das Zeichen des Dragoner-Regiments 16 angebracht, links und rechts an den Seiten sind unter der Überschrift „Es starben für Deutschlands Ehre vom 2. Hann. Drag. Regt. Nr. 16“ und dem Eisernen Kreuz die Namen der Toten aufgelistet, die im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71, bei der grausamen Niederschlagung des Aufstandes in der Kolonie Deutsch-Süd-West-Afrika 1904 – 1906 und im 1. Weltkrieg 1914 –1918 umkamen. Die Beschwörung der Ideale „Ehre“ und „Vaterland“ auf den Denkmalen soll angeblich den Hinterbliebenen – Eltern, Geschwistern und Bräuten der Soldaten – Trost spenden, tatsächlich dient sie dazu, die Klagen und Anklagen der Trauernden zum Verstummen zu bringen. Die Namensliste an der Rückseite ist nach 1945 angebracht worden, als der Ritt „in die kampffrohen Weiten“ vorüber war. Sie ist überschrieben: „Opfer des Weltkrieges 1939 – 1945 vom 2. Hannoverschen Dragoner-Rgt. 16 und der Res. Kavallerie-Abt. 78“. Unter den Namen steht: „Ehrendes Gedenken auch den vermissten Kameraden“.
Die Lüneburger Dragoner haben den Krieg nicht beschlossen. Die Politiker versagten, und die Völker hielten 1914 einen Krieg noch für akzeptabel. Heute gedenken wir am Dragoner-Denkmal nicht nur der Soldaten, die zu Opfern der Kriegsmaschinerie wurden, sondern erinnern uns auch der Zivilisten und Militärangehörigen, denen sie den Tod brachten.
Heute gedenken wir am Dragoner-Denkmal nicht nur der Soldaten, sondern erinnern uns auch der Zivilisten und Militärangehörigen.

Darüber hinaus repräsentiert es 200 Jahre Lüneburger Militärgeschichte. Das Denkmal ist Wind und Wetter ausgesetzt und schwer geschädigt. Um Spenden für die Restaurierung bittet der „Verein der Freunde und Förderer des Denkmals der Dragoner 16 e.V.“
Seit 1975 verbindet Lüneburg eine Städtepartnerschaft mit der französischen Stadt Clamart am südwestlichen Stadtrand von Paris. Zum zehnjährigen Jubiläum hat der Stadtrat 1985 beschlossen, die Grünanlagen an der Roten Straße „Clamart-Park“ zu nennen. Seitlich begrenzt wird er von der „Friedenstraße“, die ihren Namen 1888 zur Erinnerung an das Ende des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 erhielt. Im hinteren Teil des Parks liegt ein Findling mit der Inschrift: „Drei Friedenseichen gepflanzt von den Schülern des Johanneums am 22. März 1871“. Zwei der Bäume sind erhalten, der kranke dritte wurde vor einigen Jahren durch einen neuen ersetzt. In ihrer Nähe steht heute das verwitterte „Kriegerdenkmal“, das am 2. September 1875 zur Feier des Sieges über Frankreich enthüllt worden ist. In diesem Rahmen bekommt das Dragoner-Denkmal seine heutige Bedeutung: Es erinnert an die verhängnisvolle Propaganda der „Erbfeindschaft“ zwischen Deutschen und Franzosen und deren Überwindung – die deutsch-französische Freundschaft im vereinigten Europa.
Die „Friedensstiftung Günter Manzke Lüneburg“ fördert mit der Verleihung des Friedenspreises 2012 an Apl. Prof. Dr. Werner H. Preuß und Dr. Michael Ebert, Historiker an der Wilhelm-Raabe-Schule, die Aufstellung von Erläuterungstafeln und die Konzeption eines Stadtrundganges zu den Lüneburger Denkmalen. In seiner Laudatio erklärte der Vorsitzende des Stiftungsrates, Pastor i. R. Folker Thamm, am 29. September 2012: „Wir hatten die Idee, diesen interpretierten Weg von Denkmal zu Denkmal „Friedenspfad“ zu nennen. Das Nachdenken über unsere kriegerische Geschichte regt zu Gedanken des Friedens an und der zukünftigen Kriegsverhütung. Das ist unsere feste Überzeugung.“
Repro: Werner H. Preuß; Fotos: Sammlung Hajo Boldt
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