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Ein Stein als Wetterbote

geschrieben von Irene Lange im Juli 2017

Ein fröhlich plätschernder Brunnen, der sogenannte Handstein, der seit über 600 Jahren niemals versiegt ist, empfängt den Besucher im Eingangsbereich der Klosteranlage ­Lüne. Während des Rundgangs lohnt sich ein Blick in das Refektorium mit den gotischen Wandmalereien, einst der einzig beheizte Raum innerhalb der Klostermauern. Eine Art römische Fuß­bodenheizung lieferte die Wärme für die Nonnen, die in ihren unbeheizten Zellen gerade im Winter kein angenehmes Raumklima vorfanden.
Friederike von Meding, eine der heutigen Konventualinnen des Lüner Klosters, ist mit den Besonderheiten des Gebäudes bestens vertraut. Wie sie berichtet, existiert im Kloster sei Jahrhunderten ein meteorologisches „Gerät“, das verlässlich darauf hinweist, wann sich ein Wettertief nähert: Der so genannte Wetterstein, eine im Boden des Kreuzgangs eingelassene Grabplatte, die, wie viele andere hier aus der Lambertikirche bzw. aus der Klos­terkirche stammt. Sie bedeckten einst das Grab eines Amtmannes oder eines Mitgliedes der Lüneburger Familien. Der „Wetterstein“ ist als Grabplatte des Amtmanns Otto Kempe und seiner Ehefrau erkennbar. In der Mitte des etwa ein mal zwei ­Meter großen Steins sind noch heute die Umrisse eines Medaillons sowie ein Wappen zu erkennen. Auch eine Inschrift ist noch auszumachen: „Hie Otto Kempe in diesem Grab / Nach seinem Todt sein Rhvstedt hat / Ein trever Ambtman zv Lvne war / Mit Mvh vnd vnrvh vff vier Iahr / schlief selig ein mit sanftmvt gros / Befahl sein Seel in Gottes Schos.“

dDoch wie wird ein Grabstein zum Hygrometer? Einige der Grabplatten – so auch er Wetterstein — nehmen Feuchtigkeit aus der Luft auf und verfärben sich.

Es ist bekannt, dass Otto Kempe nach nur vierjähriger Wirkungszeit als Amtmann von Lüne im Februar 1604 verstarb.
Doch wie wird ein Grabstein zum Hygrometer? Einige der Grabplatten – so auch der besagte Wetterstein — reagieren stark hygroskopisch. Vor allem bei Naturstein kommt es häufig vor, dass auch dieses dichte Material Feuchtigkeit aus der Umgebung aufnimmt. Im Falle des klösterlichen Wetter­steins dringt diese in das an manchen Stellen poröse Material ein und färbt es dunkler, sodass die auf dem Stein vorhandenen Reliefs bräunlich hervortreten und manchen Tags wie getrocknetes Blut wirken. Auf anderen Stellen sammelt sich Feuchtigkeit in den Relief-Vertiefungen. Kündigt sich folglich ein Tief an, nimmt der Stein die Feuchtigkeit aus der Luft auf, sobald es vorbeigezogen ist, beginnt der Stein zu trocknen. Für die Bewohnerinnen und Besucher des Klosters früherer Jahrhunderte muss die Verwandlung der Grabplatte regelrecht zauberhaft gewesen sein.
Im Kloster Lüne existiert eine zweite Grabplatte, die feucht wird, sobald Petrus mit Regenschauern droht, weiß der ehemalige Kloster-Hausmeister Heinrich Matheis. Doch färbt er sich nicht so deutlich ein wie der besagte „Wetterstein“ und ist daher weniger beachtet.
Im verwunschenen Kreuzgang des Lüner Klosters gibt es noch vieles mehr zu entdecken, unter anderem die farbigen gotischen Glasfenster mit Darstellungen von Heiligen. Bei einem Rundgang macht Heinrich Matheis auf die unzähligen Kostbarkeiten aufmerksam. Er weist auf die besonderen Steinformen der Deckenbögen hin und auf eine klappbare Holztafel, deren eine Seite ein Gemälde aus dem Jahre 1663 — „Christus als den Erlöser der Welt (Salvator mundi)“ — zeigt. Die andere Seite ist mit Bibelverse geschmückt. Auch einer historischen Glocke ist eine besondere Aufgabe zugedacht: Sie wird nur geschlagen, wenn eine neue Konventualin aufgenommen wird oder wenn eine von ihnen das irdische Dasein beendet hat.(ilg)

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