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Eine tragische Geschichte von Liebe, Sehnsucht und Verrat

geschrieben von Irene Lange im Juni 2019

Im Zeitalter des Barock war eine Eheschließung nicht nur in Adelskreisen zumeist eine pragmatische Angelegenheit. Liebe und Zuneigung spielten eher eine untergeordnete Rolle, galt es doch hauptsächlich, standesgemäß zu heiraten sowie Vermögenswerte zu erhalten oder gar zu vermehren.

ie Verbindung zwischen dem Herzog Georg Wilhelm von Braunschweig und Lüneburg (1624 – 1705) und der Hugenottin Eléonore Desmier d’Olbreuse (1639 – 1722) begann mit einer Liebesbeziehung. Eigentlich war der Herzog Sophie von der Pfalz versprochen. Als er sich jedoch in die schöne Französin unsterblich verliebte, übertrug er seine Erbfolge auf den jüngeren Bruder Ernst August (1629 – 1698), der dafür die „sitzen­gelassene“ Braut (1630 – 1714) ehelichen musste.
Zunächst konnte Georg Wilhelm seine angebetete Eléonore nicht heiraten, hatte er doch seinem Bruder aus Erbschaftsgründen Ehelosigkeit versprochen. Nachdem aber die einzige Tochter – Sophie Dorothea – am 15. September 1666 in Celle geboren war, gelang es dem Paar, seine Verbindung zu legitimieren. Fortan residierte die kleine Familie im Celler Schloss, denn ein standesgemäßer Wohnsitz in Lüneburg existierte zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Zur Erinnerung: Das hiesige Stadtschloss wurde erst in den Jahren 1695 bis 1700 eigens für Eléo­nore Desmier d’Olbreuse erbaut (Quadrat berichtete in der Mai-­Ausgabe). Dafür gab es jedoch einen besonderen Anlass. Von hier aus wollte diese – in­zwischen längst Herzogin von Braunschweig-Lüneburg-Celle – ihre Tochter Sophie Dorothea auf Schloss Ahlden besuchen, die dorthin lebenslang verbannt war.
Aber dazu gibt es wieder eine eigene Geschichte: Zunächst sah es so aus, als ob das Leben der Herzogtochter Sophie Dorothea sorglos und glücklich verlaufen würde. Sie wuchs auf, umsorgt von Eltern, die sich aufrichtig liebten und ihr begabtes, aufgewecktes einziges Kind liebevoll umsorgten. Zudem übertrug der Vater seiner Tochter schon früh große Vermögenswerte, so dass die junge Dame als eine überaus gute Heiratspartie galt. Mehrere Fürsten wie Prinz August Friedrich von Braunschweig-­Wolfenbüttel, Herzog Friedrich Karl von Württemberg und sogar der schwedische König Karl XI. zählten zu den Bewerbern um ihre Hand. Sophie Dorothea war nämlich nicht nur reich, sie war auch durch ihre Schönheit und Anmut überaus begehrenswert in der Männerwelt.
Leider war es ihr nicht vergönnt, einen Mann zu heiraten, dem ihr Herz gehörte. Sie wurde aus Gründen der Vertragseinhaltung bezüglich der Erbschaftsrechte zwischen ihrem Vater und dessen Bruder sozusagen „zwangsverheiratet“. Gegen ihren Willen – und trotz des empörten Widerstands ihrer Mutter Eléonore – musste sie in die Ehe mit ihrem Cousin, dem ältesten Sohn des hannoverschen Herzogpaares, Georg Ludwig (1660 – 1727), einwilligen. Obwohl ihr Vater sie geradezu vergötterte, ließ er sich nicht erweichen, von der für seine Tochter geplanten Eheschließung abzusehen. Er stand zu seinem Versprechen gegenüber seinem Bruder Ernst August und der Schwägerin Sophie. Letztlich aber ging es ihm um seine Ehre und auch Machterhaltung. Zugleich erhoffte er sich eine glänzende Zukunft für seine Tochter am hannoverschen Hof. Doch für Sophie Dorothea bestand dieser aus einem Haufen böser und unkultivierter Menschen, allen voran ihr künftiger Ehemann, den sie gar als „Schweineschnauze“ bezeichnete.

Alle Tränen und alles Bitten halfen nichts – der Vater und die hannoverschen Verwandten blieben hart und bestanden auf Einhaltung der Ehevereinbarung. An einem düsteren Novembertag im Jahre 1682 fand auf Schloss Celle die Hochzeit zwischen der Prin­zessin von Celle, Sophie Dorothea, und Georg Ludwig, dem erstgeborenen Prinzen von Hannover und späteren englischen König Georg I. (1660 – 1727), statt. Die Braut soll ausgesehen haben, als ginge sie ihrer eigenen Hinrichtung entgegen.
Anscheinend verlief die Ehe nicht ganz so unglücklich wie anfänglich ver­mutet. Jedenfalls gingen aus ihr zwei Kinder hervor, Georg-August (1683–1780) und Sophie Dorothea (1687 – 1757). Nach der Geburt der Kinder jedoch war es mit dem Ehefrieden vorbei, zumal sich der Gatte vorwiegend für seine Mätresse, Melusine von der Schulenberg, interessierte. So wundert es nicht, dass sich die vernachlässigte Gattin irgendwann einem anderen zuwandte. Dieser Mann war der schmucke Philipp Christoph von Königsmarck, geboren am 14. März 1665 in Stade in einer Familie von altem Adel. Er wuchs mit seinen Geschwistern auf Schloss Agathenburg in der Nähe von Stade sowie einem Anwesen der Königsmarck in Eppendorf bei Hamburg auf. Schon früh verlor er den Vater, der als General in einer Schlacht gegen die Franzosen fiel. Seine Mutter sorgte dafür, dass er eine angemessene Erziehung und gesellschaftlichen Schliff in England erhielt. Dazu gehörte auch, dass er sich stets nobel und elegant kleidete. Überhaupt war er einem verschwenderischen und vergnüglichen Lebensstil gegenüber sehr aufgeschlossen.
Geld spielte für ihn vermeintlich keine Rolle, so dass er schließlich mit einem Haufen Schulden dastand. Doch auf den damaligen Schlachtfeldern, unter anderem gegen die Türken, machte er sich derart verdient, dass er nach seiner Rückkehr in Hannover als Kriegsheld und zugleich charmanter und eleganter Kavalier eingeführt wurde. Fortan diente er als Oberst der Leibgarde des Herzogs Ernst August und nahm an den Feldzügen gegen Frankreich teil.
Eigentlich kannte Sophie Dorothea den Grafen Königsmarck schon aus Celler Zeiten, als er mit seiner Mutter dort zu Besuch weilte. 1690 trafen sich die beiden bei einem Maskenball im hannoverschen Rathaus wieder. Sie tanzten den ganzen Abend zusammen, ein schönes Paar, das von allen bewundert wurde. Anfangs sahen sich Sophie Dorothea und Philipp Christoph nur selten und sporadisch, doch das änderte sich bald. Vermutlich begann ihr enges Liebesverhältnis schon 1691. Sie trafen sich heimlich und schrieben sich ausgiebig Briefe.

Doch diese Liebesaffäre wurde der Kurprinzessin von Braunschweig und Lüneburg – wie sie sich offiziell nennen durfte – schließlich zum Verhängnis. Ihr außereheliches Verhältnis kam heraus, nicht zuletzt durch Verrat der eifersüchtigen Gräfin Platen, die hoffnungslos in den Grafen verliebt war. Als die Affäre seiner Ehefrau offensichtlich war, bestand Ehemann Georg Ludwig auf Scheidung, eine Forderung, bei der ihn Sophie Dorotheas Vater unterstützte. So kam es schließlich dazu, dass Sophie Dorothea am 28. Dezember 1694 wegen böswilligen Verlassens allein schuldig geschieden wurde. Es folgte ihre Verbannung vom Hof, verbunden mit der Entfernung von allem, was überhaupt an sie erinnerte, einschließ­lich der Aberkennung des Titels „Kurprinzessin“. Ihr Vermögen fiel ihrem geschiedenen Ehemann zu.
Den Grafen Königsmarck aber ereilte ein grausames Schicksal. Er wurde von gedungenen Meuchelmördern im hannoverschen Leineschloss umgebracht und seine Leiche wahrscheinlich in der Leine versenkt. Sie wurde nie gefunden. Doch die Liebesbriefe zwischen Sophie Dorothea und Philipp Christoph sind größtenteils erhalten, wobei sich heute ein Teil davon in einer schwedischen Universität befindet. Sie geben Zeugnis von der leidenschaftlichen Liebe zwischen den beiden.
Sophie Dorothea musste als „Prinzessin von Ahlden“ die letzten 30 Jahre ihres Lebens im dortigen Schloss, einem Fachwerkpalast, verbringen. Hier umgaben sie zwar auch Bedienstete, wie es ihr Stand verlangte, aber sie wurde bewacht wie in einem Gefängnis. Allerdings durfte sie später begleitete Ausfahrten im näheren Umkreis des Schlosses unternehmen. Sie litt nicht nur unter dem Verlust ihres Geliebten, auch ihre beiden Kinder durfte sie nicht sehen. So waren die Besuche ihrer Mutter, die inzwischen in Lüneburg im eigens für sie erbauten Stadtschloss residierte, ein großer Trost.

Im Jahre 1705 war ihr Vater gestorben, der bis zum Schluss in Bezug auf das Schicksal seiner einzigen Tochter hartherzig blieb. Auch nach seinem Tod bemühte sich seine Gattin als Mutter vergeblich um die Freilassung ihrer Tochter. So blieb ihr nur, diese noch bis zum Ende ihrer Tage im Jahre 1722 in deren Verbannung im Aller-Leine-Tal zu besuchen. Nur wenige Male war Sophie Dorotheas Aufenthalt in Ahlden durch Kriegszeiten oder Umbauarbeiten unterbrochen. Dann wurde sie in Celle oder Essel untergebracht, durfte auch Besucher empfangen. Ihre Mutter allerdings hatte unbegrenztes Besuchsrecht.
Die „Prinzessin von Ahlden“ überlebte ihre im Jahre 1722 Mutter verstorbene nur um vier Jahre. Nach einem Schlaganfall erholte sie sich nicht mehr; sie starb am 13. November 1726. Zunächst wurde ihr Leichnam in einen Bleisarg gelegt und im Keller des Schlosses deponiert. Erst im Mai 1727 fand ihre heimliche Beisetzung in der Fürstengruft der Stadtkirche St. Marien in Celle statt, wo sie an der Seite ihrer Eltern ihre letzte Ruhe fand.
Nicht nur Zeitgenossen beschäftigte das Schicksal der Kurprinzessin Sophie Dorothea, „Prinzessin von Ahlden“ genannt. Bis in die heutige Zeit wird ihre Geschichte auch mit dem Haus Braunschweig-Lüneburg verbunden bleiben. Denn ohne die fatalen Folgen ihrer Liebesaffäre mit dem Grafen Königsmarck hätte es vielleicht auch kein Lüneburger Stadtschloss gegeben.

PS: Unter dem Titel „Die verbannte Prinzessin – Das Leben der Sophie Dorothea“ hat der Journalist Heinrich Thies eine auf geschichtliche Tatsachen zurückgehende packende Romanbiographie verfasst.

Fotos: Sammlung Hajo Boldt

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