Gertrud Lerbs-Bernecker
geschrieben von Constanze Sörensen im November 2011
KÜNSTLERIN AUS OSTPREUSSEN –
Gertrud Lerbs wurde am 5. März 1902 als
Tochter des Postassistenten Gottlieb Lerbs
und seiner Frau Anna in Rogehnen, Kreis
Preußisch Holland, geboren. Als der Vater 1909
versetzt wurde, kam die kleine Familie nach Königsberg.
Bereits im Kindesalter fühlte sich das Mädchen
zur Kunst hingezogen, und so wurde jeder
Zettel, jede freie Stelle in einem Schulheft mit
Zeichnungen versehen. Auch schrieb sie selbsterdachte
Geschichten oder Märchen nieder. „Es störte
Gertrud nie, wenn wir alle um sie herumsaßen und
zusahen, wie sie malte oder zeichnete“, erinnerte
sich ihre alte Freundin Herta Drahl. „Es war ihr
möglich, einen Menschen in der verzwicktesten
Haltung darzustellen und mit der Zeichnung an
der Fußspitze zu beginnen.“
Sie besuchte die Roßgärter Mittelschule, wo ihre
Zeichenlehrerin Else Kob ihre Begabung schnell
erkannte. Mit 15 Jahren ließ sie sich an der Kunstund
Gewerkschule als Schülerin bei Professor Otto
Ewel ausbilden. Ein Jahr später wechselte sie zur
Kunstakademie, wo Professor Heinrich Wolff ihr
Lehrer wurde. Als einzige Frau erhielt Gertrud
Lerbs als Meisterschülerin ein eigenes Atelier an
der Akademie.
Mit 16 Jahren erhielt sie bereits ihren ersten Auftrag:
ein fi gürliches Glasfenster der Kirche zu Guttstadt.
Mit 22 Jahren verlieh man ihr die Goldene
Medaille der Künste, mit 26 die Medaille für hervorragende
Leistungen preußischer Kunsthochschüler,
gestiftet von der Berliner Akademie der
Künste; unterschrieben war die Urkunde von den
bekannten Kunstschaffenden Max Liebermann
und Käthe Kollwitz. Nachfolgende Ausstellungen
in Berlin, Königsberg und Danzig sowie im Westen
des Reiches kündeten von ihrer großen Begabung.
An der Kunstakademie hatte sie auch Kurt Bernecker
kennen gelernt, einen hoffnungsvollen jungen
Maler, den sie 1930 heiratete. Gemeinsam
schufen sich die beiden mit einer kleinen Malschule
ein leidlich sicheres Fundament für die
freie künstlerische Arbeit.
Immer wieder griff die Künstlerin auf ostpreußische
Sagenmotive zurück. „Was an dunklen Winterabenden
am Herdfeuer geraunt wurde, was der
Sonnenglast der sommerlichen Seenweide heraufbeschwor,
bekam bei ihr Gestalt. Man glaubt, einer
wissenden alten Märchenerzählerin zuzu hören“,
sagte damals die Kritik. Und eine andere: „Hier
setzt sich eine fast romantisch zu nennende Entwicklung,
vor allen Dingen in der Graphik, durch.
In dieser zeitgenössischen Kunst wird dem Wesen
der Dinge, ihrem inneren Gesetz nachgespürt und
so das zeitlos allgemein Gültige sichtbar gemacht“.
ZU SEHEN SIND IHRE EINDRUCKSVOLLEN ARBEITEN AUCH IM OSTPREUSSISCHEN LANDESMUSEUM IN DER RITTERSTRASSE.
Gertrud Lerbs-Bernecker wurde zu einer der bekanntesten
Künstlerinnen in Deutschland. Arbeiten
des ostpreußischen Künstlerehepaares waren auf
vielen deutschen und internationalen Ausstellungen
zu sehen. So wurden 1935 im Königsberger
Schloss in sieben Sälen Steinzeichnungen,
Kupferstiche, Originalzeichnungen und Aquarelle
von Gertrud Lerbs gezeigt; Ankäufe durch den
Staat und die Provinz Ostpreußen folgten. 1943
wurde ihr ein Lehrstuhl angeboten, den sie jedoch
aus gesundheitlichen Gründen ablehnen musste.
Schon damals zeigten sich erste Symptome der
Multiplen Sklerose, die ihr die letzten Jahre ihres
Lebens so schwer machen sollte.
Als der Maler und die Graphikerin 1944 ihr kleines
Atelierhaus in der Königsberger Krausallee verlassen
mussten, ließen sie auch eine Vielzahl ihrer
Werke zurück. Geborgen hatte Gertrud Lerbs-
Bernecker nur eine Mappe mit Steinzeichnungen
und Kurt Bernecker ein Ölbild, das seine Frau in
jungen Jahren zeigt. Ihre Arbeiten waren eindrucksvoll,
geprägt von visionärer Schau. Darunter
war auch eine Lithographie aus dem Jahr 1937
mit dem Titel „Abschied vom ostpreußischen Bauernhof“.
Zwei Frauen umarmen sich still, ein Kind
– warm eingehüllt, denn die Landschaft zeigt sich
tief verschneit — schreitet zu einem wartenden
Schlitten. Der Bauer ordnet ein letztes Mal den
Inhalt des Schlittens. Noch einmal blickt das Kind
sich um. Gibt es eine Wiederkehr? „In dieser Zeit
konnte man diese Darstellung noch nicht verstehen“,
hatte Gertrud Lerbs-Bernecker ihre Arbeit
einmal erläutert. „Aber ich habe sie auch
nicht wissentlich geschaffen. Ich litt damals schon
unter einer großen Angst. Ich ahnte, dass etwas
Böses vor der Tür stand, und in den Nächten
träumte ich immer wieder, dass wir aus der Heimat
gehen müssten.“
Flüchtlinge, junge, alte und kranke Menschen in
Not, Kinder, Frauen ohne ein Zuhause, verhärmte
Gesichter, Verzweiflung — das sind die Themen, die
sich im Werk der Graphikerin Gertrud Lerbs-Bernecker
wieder fi nden. Eindrucksvolle Blätter sind
es, die als Sinnbild einer aus den Fugen geratenen
Welt zu werten sind und heute mehr denn je ihre
Wirkung haben. Zu sehen sind sie unter anderem
im Ostpreußischen Landesmuseum in Lüne burg.
Über Schlesien gelangte das ostpreußische Künstlerehepaar
schließlich nach Lüneburg. Dort wagten
sie den Neubeginn. Anfänglich zeichnete Gertrud
Lerbs-Bernecker für die Lüneburger Landeszeitung
und bekam dafür ein Gehalt von 250 Mark
und 25 Mark pro Illustration.
Ruth Geede, die sie 1949 in Lüneburg besuchte,
erinnerte sich an diese erste persönliche Begegnung
nach dem Krieg und der Flucht. Es war Zufall,
dass das Schicksal sie in die gleiche Stadt
verschlagen hatte. „Ich sah diese zerbrechlich wirkende
Frau mit dem sensiblen Gesicht, das von
soviel Leid sprach, spürte, dass mehr als der körperliche
Schmerz das Heimweh an ihr zehrte. Und
so sprachen wir von der gemeinsamen Heimat, holten
Erinnerungen zurück an jene Tage, als wir uns
das erste Mal begegnet waren – damals im Juli
1941 auf der Kurischen Nehrung.“
1952 fand in der Wilhelm-Raabe-Schule eine Ausstellung
von der Griffelkunst mit einer kleinen
Sonderausstellung der Werke von Gertrud Lerbs-
Bernecker statt. Brigitte Hasenclever, die Rektorin
dieser Schule, besuchte sie auch häufi ger zuhause.
Es folgte jedoch bald ein neuer Schicksalsschlag:
Ein Feuer vernichtete 1952 sämtliche zu Ausstellungen
nach England und Schottland gesandten
Arbeiten. Wieder standen die beiden Ostpreußen
vor einem Neuanfang, Gertrud Lerbs-Bernecker
schon schwer gezeichnet von ihrer Krankheit.
In ihrer Wohnung in der Lüneburger Kefersteinstraße
herrschte dennoch immer eine arbeitsame
Atmosphäre. Schüler arbeiteten vor ihren Staffeleien
und viele neue Bilder zierten die Wände. Als
Ruth Geede das Künstlerpaar 1952 für „Das Ostpreußenblatt“
besuchte, sprach Optimismus aus
den Worten Gertrud Lerbs-Berneckers, als sie erklärte:
„Vielleicht kann ich nun die Lösung fi nden,
da alles Erahnte sich erfüllte.“ Und: „Ich will nicht
nur zeichnen, ich werde auch schreiben.“
Die unheilbare Krankheit aber ließ ihr diese Vorhaben
zu einer schweren Last werden. Dennoch
kündeten Ausstellungen in Lüneburg und in Hamburg
von der ungebrochenen Schaffenskraft der
beiden Künstler. Eine große Freude war es für sie,
als ihr 1963 der Kulturpreis der Landesmannschaft
Ostpreußen verliehen wurde, in Anerkennung
einer gültigen Aussage über ihre ostpreußische
Heimat, über die Bevölkerung Ostpreußens und
deren Schicksal. Aus Anlass ihres 65. Geburtstags
zeigte das Museum für das Fürstentum Lüneburg
1967 eine Kollektivausstellung ihres Lebenswerkes.
Die Ausstellung wurde von vorgesehenen
14 Tagen auf vier Wochen verlängert.
Die letzte Zeit ihres Lebens wurde sie liebevoll im
Lüneburger Anna-Vogeley-Heim betreut. Die
Künstlerhand, mit der sie soviel geschafft hatte,
konnte sie nicht mehr bewegen. Am 6. Mai 1968
starb Gertrud Lerbs-Bernecker in Lüneburg und
wurde auf dem Zentralfriedhof beigesetzt.
Quelle: Constanze Sörensen
„Biographien Lüneburger Frauen“, 2005
FOTOS: DRAHL, PETER (2003), S. 46. / S. 78
Weitere Artikel:
Bardowicker Gesäßhuldigung
Brutzeln und kochen für den Denkmalsc...
Frieden war das schönste Geschenk
Willkommen im Katzenparadies
Plötzlich scheinreich
Trabis, Tränen und eine Stadt im Taum...
Wie geht eigentlich Kunst?
Bruchbuden gegen den Wohnraum-Mangel
Auf der Lüneberger Heide?
„Der Sturm“ wird ein Bühnen-Orkan
Der Hochzeitstag ist auch nur ein Datu...
Re(h)agieren Sie rechtzeitig
Ein Tag für Ja-Sager
Gehen Sie doch einfach mal am Stock...
Oase des Glücks
Die Kampfkunst des Mittelalters
Wie böse ist die Schlange wirklich?
Per App auf Zeitreise
Rule Brexitannia
Suchbild des Monats September 2019
Lüneburg Aktuell

Lüneburg Aktuell
Heute schon lesen was morgen in der Zeitung steht
Veranstaltungskalender
Mittagstisch
Kleinanzeigenmarkt
http://www.lueneburgaktuell.de/