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Heia Safari

geschrieben von Rüdiger Albert im Mai 2013

Hermès in den Tropen, Louis Vuitton auf dem Achttausender: Wie Abenteuerreisen komfortabel gemacht werden

„Hast du meine Kroko-Täschchen gesehen?“
– „Nein, Du mein Doppeldachzelt mit Dusche und WC?“

Henry Morton Stanley, der Starreporter des „New York Herold“, erhielt 1869 von seinem Verleger den Auftrag, den verschollenen Afrikaforscher David Livingstone zu finden. Geld spielte keine Rolle. Ein äußerst riskantes Unternehmen. Zentralafrika war noch nicht erschlossen, Landrover noch in weiter Ferne, und eine Enzyklopädie über Moden und Ausrüstung in den Tropen, an der sich Stanley hätte orientieren können, lag noch nicht vor. Seine Mannschaft — 187 Mann — schleppte darum sicherheitshalber sechs Tonnen Material in die unbekannte Wildnis. Leinen- und Baumwollballen, Glasperlen und Messingdrahtrollen als Tauschmittel. Stanley schlief in zerlegbaren Hanftuchzelten, badete mitten im Dschungel in einer zinnernen Wanne und schrieb seinen Reisebericht an einem durablen Schreibtisch im Biblio­theksformat: ein Mann, der es offensichtlich verstand, kommod zu reisen.
Nach 221 Tagen Expedition durch Wüste, Steppe, Sumpf und Gebirge fand Stanley den vermissten Forscher und Missionar David Livingstone in Udjidji am Ostufer des Tanganjikasees. Um die Form zu wahren, verweilte Stanley kurz vor dem Dorf. Selim, sein Diener, legte ihm für diese historische Stunde einen neuen Flanellanzug bereit, ölte die Stiefel und reinigte den Tropenhelm mit Kreide. Gentlemanlike trat Stanley Livingstone mit den britisch unterkühlten Worten entgegen: „Dr. Living­stone, I presume?“ („Ich vermute Dr. Livingstone“?)

Nach einer Vesper mit gebratenen Hühnern und gekochtem Ziegenfleisch gab der durstige Stanley die Order: „Selim, bring uns Champagner.“ Der Mann hatte eben Stil. Livingstone schrieb in sein Tagebuch: „Dieser Reisende ist auf bequeme Fahrt bedacht.“ Er hatte damit zweifellos Recht und wähnte sich im Paradies.
Paradiese gibt es heute angeblich zuhauf: Einkaufsparadiese, Fußgängerparadiese, Ferienparadiese, ein Euphemismus nach dem anderen. Kenner, die zugleich auch immer zu Skeptikern werden, wenn sie Lobhudeleien wittern, sind auf solche Hymnen noch nie hereingefallen. Und für die ganz extremen Touren, die Selbsterfahrungsparadiese, sind sie, die Komfortgewohnten, sich viel zu schade.
Die Durchquerung Grönlands oder Islands, ein Besuch des Mount-Everest-Basislagers in 5357 Metern Höhe gelten unter Connaisseurs als zweite Wahl. Den Spuren Fridjof Nansens folgen jährlich schon Hunderte ins Eis. Auf den Pfaden von John Hunt und Edmund Hillary, den Erstbesteigern der Achttausender, radeln längs amerikanische Mountainbiker, und europäische Rucksacktouristen überlaufen die Trampelpfade des Himalaya. Das Basislager taugt nur noch für das Guinness-Buch der Rekorde, als höchste Müllkippe dieser Erde. Überfüllte Plätze in dünner Höhenluft mit Kühlschrankatmosphäre meidet der feinnervige Pionier.
Den luxuriös orientierten Globetrotter zieht’s in die Tropen, in die Gebiete, die der Sonne am nächsten liegen – freilich nicht zum Baden an die Karibik­strände, sondern in die Amazonassümpfe, in das Kongobecken und zu den Viktoriafällen des Sambesi.

Die Tropen sind neben Tennisplätzen der einzige Ort, an dem sich niemand mit weißenBaumwollsocken blamiert, denn die Tsetseweibchen fliegen auf Schwarz.

„Ich trau’ meinen Augen kaum.
Ein Reisebett von Hermès?“

Der abenteuerlustige Mann und die abenteuer­lustige Frau von Welt wollen alles und reisen pauschal mit dem vierradgetriebenen Landrover durch die Kalahariwüste, fliegen mit einer Cessna ins Okawango-Delta, lassen sich mit dem Mekoro, einem Einbaum, durch die Sümpfe paddeln. Im Chobe-­Nationalpark erwartet die Pirschgänger dann das Highlight aller Tropenreisen: Fußsafari heißt das Zauberwort. Danach wird der Kilimandscharo bestiegen. Zur abschließenden Erbauung und Erholung bewundern die Freizeitpioniere vom kleinen Flieger aus die Viktoriafälle – und das alles in gut zwei Wochen.
Allein das Beste, was der Markt zu bieten hat, darf an Ausrüstung für solche Reisen ins komfortabel angefederte Abenteuer mitgenommen werden, egal, ob pauschal gebucht oder auf eigene Faust bestanden. Verständlich: Mode und guter Geschmack verzeihen keine Fehler.
Ein geräumiges Doppeldachzelt, ausgestattet mit Dusche und WC, dient als Campbasis. Falls das portable Telefon ausfällt, hat jedes Briefpapier den Schreibtisch-Reisekoffer aus der Serie La Legende von Louis Vuitton nur allzu gern.
Wenn die Tinte getrocknet ist, zieht’s den Tropen-­Genießer zur Erholung auf eine bequeme Ruhestätte, am teuersten auf das Reisebett von Hermès.
Die federleichteste, wärmste und kostspieligste Art sich auszustrecken und vor Kälte zu bewahren liefert die Daune. Die besten werden kanadischen und Pyrenäen-Gänsen ausgerupft. Ein dickes Minus erhalten chinesische – die kiellosen Federn sind zu klein und isolieren nicht.
Über dem schlummernden Träumer und Genießer auf Fußsafari, auf Tour nur noch mit dem Wildhüter an seiner Seite, wölbt sich ein federleichtes Zelt aus High-Tenacity-Rip-Stop-Nylon. Bo Hilleberg, der schwedische Marktführer, beschichtet seine Nylonzelte mit zwei Lagen Silikon und macht sie dadurch reißfest wie eine Stahltrosse und wasserdicht wie ein Swimmingpool.
Reisen macht hungrig, aber nicht jeder Feinschmecker wird zu einem käferkauenden Rüdiger Nehberg, nur weil das „Tantris“, das „Landhaus Scherrer“ oder auch „Wabnitz“ zig Meilen entfernt sind. Abenteurer, die sich freiwillig auf sich selbst stellen, garen Tütensuppen auf dem MSR-Kocher X-GK. Der surrt wie ein Schweißbrenner und lässt sich zur Not auch mit Whisky betreiben. In acht Minuten erhitzt der Miniherd einen Liter Wasser. Das genügt, um einen ausgehungerten Freizeit­pionier mit dehydriertem Globetrotter-Lunch aus Tüte und Karton wieder auf den Vordermann zu bringen. Zur Not frisst ja auch der Teufel Dosenkost.
Den Kocher transportiert der abenteuerlustige Wandersmann im drei Kilogramm schweren Spezial-­WA-Rucksack vom amerikanischen Hersteller ­Lowe. Der erlaubt durch separate Zugänge einen sofortigen Zugriff zu allen verpackten Reiserequisiten.
Auf der Kleidung luxuriert eine Beschichtung aus Gore-Tex, ein von den Amerikanern für den Mann auf dem Mond entwickelter atmungsaktiver und wasserdichter Kunststoff. Er sei durch nichts zu schlagen, erzählen die wasserfesten Kilimandscharo-Kletterer.
In den feuchtheißen Tropen jedoch, am Fuße des Berges, versagt die Kunstfaser. Der Körperschweiß kondensiert innerhalb der Kleidung. Die Grenzen der High-Tech-Produkte sind hier erreicht. Die von der Werbung hoch gelobte Mikrofaser mag fürs Skifahren in den Alpen genügen, ihre Tauglichkeit für extreme klimatische Verhältnisse konnte bisher nicht bewiesen werden. „Spielkram“, sagen die Tropenexperten vom Tropenausrüster Ernst Brendler aus Hamburg. Sie halten Naturfasern für den Fond der Safari-Kleidung.
In feuchtheißen Zonen trägt der erfahrene Tropenbummler Mode von konservativem Zuschnitt, in Form und Material: Safari-Jackets – die mit den großen Taschen – und Safarihosen aus Leinen. Die kompakte Bastfaser aus Flachs nimmt keine Luftfeuchtigkeit auf und gibt viel Körperwärme ab.
Die Tropen sind übrigens neben den Tennisplätzen der einzige Ort auf der Welt, an dem sich niemand mit weißen Baumwollsocken blamiert. Die gefährlichen Tsetse- und Moskitoweibchen fliegen vorzugsweise auf Schwarz, Dunkelrot und Dunkelblau – und auf Buntes, das auf Safari darum unter allen Umständen zu vermeiden ist.
Der Tropenhelm mit Hartschale und Kinnband, das koloniale Original, bleibt im Kleiderschrank, wird vor Ort nicht gern gesehen. „Das gibt Ärger“, vermuten die Tropenexperten vom Tropenausrüster. Eine Tropenmütze mit Nackenschutz tut es auch und wiegt weniger.
„Abenteuer mit angezogener Handbremse“, bemerkt der ewige Nörgler, „diese High-Tech-Spe­zialisten und Tropenausrüster sollten sich auch mal Gedanken darüber machen, wie ich meinen Champagner am Amazonas auf trinkbare Temperatur kühle.“ Damit erhebt er Anspruch auf sein Wohlbefinden. Sein Problem scheint jedoch ungelöst – der faltbare Leichtkühlschrank ist noch nicht erfunden. Auch Stanley prostete Livingstone mit warmem „Bizzelwasser“ zu.(ra)

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