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Heinrich Heine in Lüneburg

geschrieben von Dr. Werner H. Preuß im Juni 2012

Der Geist des Dichters weht durch das Lüneburger Heinrich-Heine-Haus

Es war der 21. Mai 1831, die Straßen befanden sich in elender Verfassung. Gegen Mitternacht rollte die Postkutsche in Lüneburg ein, die Hamburg vor zehn Stunden verlassen hatte. Von Winsen an vertrieben sich die sechs Reisenden die Zeit mit einem Spiel, in dem sie ­jeweils in die Rolle eines bekannten Mannes oder einer bekannten Frau ihres Landes schlüpften, „und auf solche Art stellten wir einen Kreis berühmter ­Menschen dar.“

Mit von der Partie war der Märchendichter Hans Christian Andersen. Er benannte sich nach dem berühmten dänischen Bildhauer Bertel Thorvald­sen. Sein Nachbar, ein junger Engländer, hieß Shakespeare, ein Student aus Hamburg konnte kein geringerer als Matthias Claudius sein. Aus dem Braunschweiger Apotheker und seiner Nichte wurden Heinrich der Löwe und Fräulein Mumme (nach dem Braunschweiger Bierbrauer). „Nur der letzte der Passagiere, eine Frau aus Lüneburg, blieb vollkommen anonym, da wir in dieser an­sonsten sehr salzeinträglichen Stadt keine berühmten Leute zu finden vermochten. Also wurde sie Stiefkind“, da die Reisenden „sie nicht mit einem Namen in die Gesellschaft aufnehmen konnten.“ – Stiefkind Lüneburg!

Stiefkind Heine

Heinrich Heine wurde am 13. Dezember 1797 in Düsseldorf geboren. Dort verbrachte er seine ersten 18 Lebensjahre. Danach führte sein Lebensweg über mancherlei Stationen: Frankfurt, Hamburg, Bonn, Göttingen, Berlin, nach Polen, nach England, in den Harz, an die Nordsee, nach München, Genua und Florenz. Am 21. Mai 1831, als Andersen durch Lüneburg reiste, besichtigte Heine die reich illustrierte „Manessische Liederhandschrift des deutschen Minnesangs“ in der Bibliothèque Royale in Paris, wo er, von wenigen Unterbrechungen abgesehen, fast 25 Jahre bis zu seinem Tode am 17. Februar 1856 wohnte.

Deutschland bestand zu seiner Zeit aus einem Flickenteppich souveräner Provinzen. Geistige Beschränktheit fand Heine überall. Von diesem Urteil nimmt er keine Station seiner Reisedichtung „Deutschland – Ein Wintermärchen“ aus. Doch hatte „Provinz“ für Heine auch einen liebenswerten Aspekt, etwas Heimatliches. Er träumte von der Weltheimat, in der noch niemand war, und sehnte sich nach einer grenzenlosen Provinz ohne das Ausgrenzende des Provinziellen. Wohin immer er kam, hielt sich Heine eine Zeit lang ganz isoliert. Auch in Paris, der Hauptstadt des 19. Jahrhunderts, lebte er möglichst zurückgezogen.

„Heimkehr“ nach Lüneburg

Am 21. Mai 1823 – also auf den Tag genau acht Jahre vor Andersen – war Heinrich Heine in Lüneburg angekommen. Abschied überschattete die Heimkehr in den Schoß der Familie, denn nichts war wie einst. Im Düsseldorfer Elternhaus lebten fremde Menschen, der Vater war ein gebrochener, entmündigter Mann. Die Familie war nicht aus freien Stücken nach Lüneburg gezogen, man war der Not ausgewichen und versuchte, gewissermaßen „im Exil“, in der Heidestadt wieder Atem zu schöpfen. Nach vier Monate langen Bemühungen hatte der „goldene Onkel“ Salomon, Bankier in Hamburg, für Heines Familie im Juli 1822 ein Bleiberecht in Lüneburg erwirken können. In den folgenden Jahren verweilte der Dichter immer wieder hier, um seine geliebten Eltern zu besuchen und auf seiner rasch wechselnden Lebensfahrt innezuhalten. Es war die Zeit seiner persönlichen Weichenstellung, der religiösen Klärung und des Universitäts­abschlusses, die Zeit, in der das „Buch der Lieder“ Gestalt gewann. Auf das berühmte „Ich weiß nicht was soll es bedeuten“ ließ er ein ganz gleich­artiges Lied folgen, das die Rätselfrage der „Loreley“ vielleicht löst: das Gedicht „Mein Herz, mein Herz ist traurig“. Es schildert die damaligen ­„Blumenauen“ am heutigen „Lösegraben“, mit Blick auf die Ratsmühle, den alten grauen Turm und den paradierenden Wachsoldaten am Altenbrücker Tor. In diesem Augenblick möchte Heine vor Lust und Weh vergehen. Das Gedicht schließt mit dem Verlangen: „Ich wollt, er schösse mich tot.“

Wahlverwandte

Der Geist des Dichters weht durch das Lüneburger Heinrich-Heine-Haus, in dem er, wie wir wissen, gut gegessen und gut getrunken hat, auf ’s Örtchen gegangen ist, geliebt, gespottet und gelacht, getrauert und an Kopfschmerzen gelitten, gedacht, gedichtet und geschlafen hat – mit einem Wort: Hier hat er eine Zeit lang gelebt wie wir. Der „Spötter Heine“ spürte in hohem Maße die Endlichkeit und Verantwortung des Lebens, für sich selbst und seine Mitmenschen. Die sich verschlimmernde Krankheit, das durch Taufe „nicht abwaschbare Judentum“ und die endgültige Emigration schufen einen Druck, von dem er sich durch sprudelnde Kreativität befreite. 1933 schrieb der Literatur­kritiker Werner Kraft über Heine: „Gehetzt, in immer neuem Anlauf, setzte er alles auf die Karte der Kunst, und im schrecklichen Siechtum wusste er nicht, ob es das Leben oder der Tod sei, dem von Tag zu Tage das Gedicht, das banale, das witzige, das erbärmliche, das verzweifelte, das rächende, das heroische, sich entband.“ In einem erst aus dem Nachlass veröffentlichten Anfangskapitel „Abschied von Paris“ zu „Deutschland. Ein Winter­märchen“ stehen Verse des Heimwehs:

„Denkt Euch, mit Schmerzen sehne ich mich Nach Torfgeruch, nach den lieben Heidschnucken der Lüneburger Heid, nach Sauerkraut und Rüben. Ich sehne mich nach Tabaksqualm, Hofräten und Nachtwächtern, Nach Plattdeutsch, Schwarzbrot, Grobheit sogar, Nach blonden Predigerstöchtern.“

Heines Lüneburger Bekannten bemerkten, dass er „fortwährend mit den mehr kleinen als großen ­dunkeln Augen“ zwinkerte, „was einen beunruhigen­den Eindruck hervorbrachte.“ In diesen Versen zwinkert der Dichter wieder beständig. Denn einer damals kursierenden Anekdote nach behaupteten reisende Franzosen, im wüsten Norden Deutschlands wohne ein wilder, beinahe unbekannter Volksstamm mit Namen „Heidschnucken“. Das ist das lammfromme Völkchen der Lüneburger, auf deren Rathaus Heine sofort den „Kulturableiter“ gesichtet hatte, von dem er unmittelbar darauf aber auch sagte: „Die Menschen sind nicht schlimm.“ Was sich so neckt und dabei zärtlich durch die Wolle krault, das liebt sich! Es scheint fast so, als habe der Dichter das „Stiefkind Lüneburg“ als Heimat-Ersatz adoptiert. Das Deutschlandbild, das Heine 1831 ins französische Exil hinüber nahm, trug ­wesentlich auch seine Züge. An keiner anderen ­Station seines Lebens ist die Welt Heines bis heute so rein und unversehrt erhalten geblieben wie in Lüneburg. Nun ist es an uns, die Familienbande fester zu knüpfen, ihn, den heimatlosen europäischen Geist, auch unsererseits zu adoptieren und – so gut es geht – zu unserem „großen Sohn“ zu machen. Als erste Publikation der damals neugegründeten „Literarischen Gesellschaft Lüneburg“ erschien vor 20 Jahren der Band „Loreley am Lösegraben – Heinrich Heine und Lüneburg“. Nach aufwendiger Restaurierung hat sich das Heinrich-Heine-Haus seit 1993 als Forum internationaler Gegenwarts­literatur etabliert. Aus der Tradition der Dichterstätte entstand neues kulturelles Leben, das Autoren und Besucher aus aller Welt nach Lüneburg zieht.

— Aus: Werner H. Preuß: Heinrich Heine und das Heine-Haus in Lüneburg. Husum-Verlag 2007

Fotos / Bilder:Kunsthalle Hamburg, Repro: H.-C. Sarnighausen, Repro: Irmtraut Prien, Museum Lüneburg, Sammlung Pinnekamp, Sammlung Werner H. Preuß

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