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Henning J. Claassen

geschrieben von Natascha Fouqet im November 2017

Sammlerlust

Kunst zu sammeln sei die schönste Krankheit die es gibt, sagte Simon de Pury, Sammler und Auktionator, über seine große Leidenschaft. Eine Aussage, die auch ein Lüneburger unterschreiben würde: Henning J. Claassen wurde vor drei Jahrzehnten vom Sammelfieber infiziert. Habe man einmal damit begonnen, sei es schwer, sich davon loszusagen, weiß der Unternehmer und Hotelier, der seine Lüneburger Häuser und Gastronomien erst vor wenigen Wochen in jüngere Hände über­gab. Wer weiß — vielleicht nicht nur, um es mit 73 etwas ruhiger angehen zu lassen, sondern um seiner Leidenschaft ein wenig mehr Zeit zu widmen. Doch was treibt die menschliche Seele zur Sammellust? Eine Frage, die sich nicht ganz leicht beantworten lässt, denn die Ambitionen sind vielschichtig.
Bei dem gebürtigen Lüneburger gab es wohl diese eine Initialzündung, einen Urlaub in Großbritannien. „Ich war etwa 18 Jahre jung, noch Lehrling, als ich meine Sommerferien in England verbrachte. Mit meiner Vespa fuhr ich häufig nach Bedford, auf dem Sozius meine erste Freundin Ann Maude. Auf unseren Fahrten kamen wir an einem Kunstgeschäft vorbei, in dessen Schaufenster der gerahmte Kunstdruck eines alten Gemäldes hing. Urheber war ein bekannter niederländischer Maler, der mir damals noch gänzlich unbekannt war. Es war das Bildnis eines jungen Mädchens, das eine große Ähnlichkeit mit meiner Lieblings-Cousine hatte. Ich besaß wenig Geld, doch musste ich dieses Bild unbedingt haben, koste es, was es wolle. Später schenkte ich es meiner Mutter zu Weihnachten. Sie hängte es über das Klavier.“ Dort blieb es und wurde Zeit ihres Lebens in Ehren gehalten.
An diesem Punkt begann sie wohl, seine Liebe zur Bildenden Kunst. Den tatsächlichen Grundstein der Sammlung H. J. Claassen legte der Maler und Bildhauer Paul Wunderlich. „Als ich 1975 das erste Werk meines Unternehmens Im­preglon im Lüneburger Hafen baute, fand ich, dass die Büroräume etwas Farbe vertragen konnten. Eher zufällig stieß ich auf die Kunst Wunderlichs, erwarb einige hochwertigen Kunstdrucke — noch keine Originale, die folgten später.“
Neue Arbeiten kamen hinzu, ausnahmslos zeitgenössische Kunst aus den Bereichen Malerei, Grafik und Skulptur. Die Sammlung wuchs, verlangte nach Raum. Mit der Galerie im Hotel „Altes Kaufhaus“ machte Claassen die Arbeiten 2010 der Öffentlichkeit zugänglich. Eine Entscheidung, die zugleich etwas über die Sammler-Ambitionen verrät. Es gibt Kunstliebhaber, die ihre Sammlung sorgsam vor fremden Blicken verbergen. Sie hoffen, mit einem Kauf auf das richtige Pferd gesetzt zu haben, fiebern der Wertsteigerung entgegen. Und es gibt jene, für die Kunst einfach eine Leidenschaft ist. Zur letztgenannten Gattung zählt auch Henning J. Claassen.

In der Galerie in dem von ihm eröffneten Hotel „Altes Kaufhaus“ machte Claassen seine Kunstwerke 2010 der Öffentlichkeit zugänglich.

Was ihn zum Kunstkauf anstiftet, ist grundsätzlich das emotionale Erlebnis. „Kunst darf mich berühren, nachdenklich stimmen, gerne auch befremden und aufwühlen“, erläutert der Sammler. „Während meiner berufsbedingten Reisen habe ich weltweit die Gelegenheit genutzt, Galerien aufzusuchen. Selten war und ist ein Besuch mit einer konkreten Vorstellung verbunden, meist löst eine Arbeit etwas in mir aus, ganz gleich, ob es sich um ein abstraktes oder figürliches Motiv handelt.“
Viele suchen den Nervenkitzel bei live-Auktionen, die Kunst der Sammlung H.J. Claassen findet auf anderen Wegen nach Lüneburg. „Ich suche nicht das Abenteuer“, erklärt der Lüneburger Investor. „Ich beobachte den Kunstmarkt via Internet und erfahre meist erst am folgenden Tag, ob mir mein Gebot ein neues Objekt für die Sammlung beschert hat. Vor allem aber besuche ich meine favorisierten Galerien in Sydney, Santa Fee, Atlanta, Berlin, München und in Brügge. Häuser, die Kunst und Künstler vertreten, die ich schätze.“ Nicht zu vergessen der kleine niederländische Künstlerort Ootmarsum, den er vor allem wegen seiner Skulpturen-­Fülle aufsucht und der ihn letztlich dazu bewogen hat, dort das bekannte 4-Sterne-Superior „Parkhotel de Wiemsel“ zu erwerben, vollständig zu renovieren und mit Kunst auszustatten. „Kunst nicht jedermann zugänglich zu machen, die Freude an ihr nicht zu teilen, wäre jammerschade“, findet Claassen und stellt daher seinen „Kunst-Stücken“ in der ehemaligen Werkstatt der freiwilligen Feuer­wehr rund 400 Quadratmeter zur Verfügung. Die Ausstellung umfasst heute Namen wie Joseph Beuys, Roy Lichtenstein und Günther Uecker, ebenso junge Künstler, die gerade erst ihr Standing auf dem Kunstmarkt finden. Ein Spaziergang durch die Ausstellung, in der mehrmals im Jahr einzelne Arbeiten ausgetauscht werden, ist jederzeit lohnenswert. Manch einen mag die große Vielfalt befremden, denn weder liegt der Fokus auf einem Künstler noch auf einer Stilrichtung. Dafür aber gibt es vieles und Überraschendes zu schauen.

„Was mich zum Kunstkauf anstiftet, ist das emotionale Erlebnis. Kunst darf mich berühren, nachdenklich stimmen, gerne auch befremden und aufwühlen.“

Die Galerie mit ihrem großen Spektrum hat das Zeug, die Furcht vor der großen Unbekannten namens Kunst zu nehmen, im Zweifel selbst Kunstbanausen davon zu überzeugen, dass ein Gemälde, eine Skulptur nicht intellektuell durchdrungen werden muss, sondern tatsächlich auch ganz banal Spaß machen darf. Schaut man jedoch ganz genau hin, so muss die Aussage, es gäbe keinen roten Faden, doch noch einmal korrigieret werden. Bewusst sei es ihm lange Zeit nicht gewesen, so der Sammler, rückblickend aber stelle er fest, dass es wohl vor allem die weiblichen Darstellungen waren, die ihn zu Beginn seiner Sammlertätigkeit inspirierten. „Selbst heute, 30 Jahre später, muss ich mir eingestehen, dass sich daran nichts geändert hat“, lacht er.
An welchem der Kunstwerke sein Herz hängt? An vielen – die Entscheidung fällt nicht leicht. Einige der Bilder erzählen ihre eigene Story, die meist im Zusammenhang mit persönlichen Erlebnissen des Vielgereisten steht. Und doch — da wäre wohl das Bild mit dem Titel „dressed for school“ von Stephen Scott Young. Das Bild zeigt ein dunkelhäutiges Mädchen in Schuluniform, das im gleißenden Licht der südlichen Sonne mit dem Rücken an einer Tür lehnt. Die Schüchternheit dieses Mädchens hat der Maler auf eine sehr anrührende Weise eingefangen, einen Gegenpol bietet ihr selbstbewusster Blick, mit dem sie dem des Betrachters begegnet.(nf)

Foto: Dan Hannen

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