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Kapitulation auf dem Timeloberg

geschrieben von Irene Lange im Januar 2019

Der Frieden begann in der Möllering-Villa in Häcklingen

Eine unscheinbare Erhebung von rund 80 Metern bei Wendisch-Evern – etwa fünf km von Lüneburg entfernt – sollte vor über 70 Jahren eine bedeutsame geschichtliche Rolle für den Frieden im gesamten Europa spielen. Auf dem Hügel mit der Bezeichnung „Timeloberg“ erfolgte bereits am 4. Mai 1945 die Teilkapitulation für den ge­samten nordwestdeuten Raum, für Holland und Däne­mark, auf welche schließlich der letzte Akt der Gesamtkapitulation am 7./8. Mai erfolgte. Somit endete der Krieg vor den Türen Lüneburgs bereits einige Tage früher.
Die Bedeutung des Timelobergs hatte schon eine angeblich hellseherisch begabte Großmutter aus der Familie Basse in Wendisch-Evern vorausgesagt. Sie kündigte um die Jahrhundertwende an, dass dort eines Tages ein großer Krieg enden würde. Der Hügel würde tiefrot aufleuchten von vergossenem Blut, danach könnten alle Menschen aufatmen. Ihr Enkel Carl Basse, der spätere Bürgermeister von Wendisch-­Evern, erinnerte sich an diese Prophezeiung.
Der Teilkapitulation vorausgegangen war ein Befehl des Hitler-Nachfolgers Großadmiral Karl Dönitz, Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, an den Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel. Dieser sollte Verhandlungen mit den Westmächten aufnehmen. Letzterer entsandte daraufhin Generaladmiral Hans Georg von Friedeburg in das Hauptquartier des englischen Oberbefehlshabers – Generalfeldmarschall Bernard Law Montgomery –, das sich seit dem Einmarsch der britischen Truppen am 18. April auf dem Hof Knacke in Oedeme befand. Ab 30. April verlegte er sein Quartier nach Häcklingen in die Villa des Besitzers der Lüneburger Kronen-­Brauerei, Alexander Möllering.
Dönitz ging es darum, Zeit zu gewinnen. Er wollte viele der im Osten kämpfenden Soldaten vor dem Zugriff der vorrückenden Russen nach Westen bewahren, ihnen die russische Gefangenschaft ersparen, um stattdessen die britische vorzuziehen. Zudem wollte er die Zusicherung erhalten, dass die fliehende Zivilbevölkerung durch die britischen Linien hindurchgelassen wurden.
Am Morgen des 3. Mai 1945 traf die deutsche Verhandlungsdelegation in der Villa Möllering – dem britischen Hauptquartier – ein. Von dort aus ging es zum Timeloberg, den Montgomery als Verhandlungsort auserkoren und entsprechend vorbereitet hatte.

Ein weiterer Grund, den Timeloberg als Ort der Kapitulationszeremonie mitsamt britischem Fahnenmast zu wählen, war sicherlich auch die gute Fernsicht von dort über die von Briten besetzte Hansestadt, denn der Hügel war damals nicht – wie heute – bewaldet. Dorthin wurde also die deutsche Delegation beordert, und von Friedeburg verlas einen Brief Keitels, in dem dieser die Kapitulation der drei im Gebiet zwischen Berlin und Rostock noch operierenden deutschen Armeen anbot. Doch die Briten lehnten ab und forderten die bedingungslose Kapitulation der deutschen Truppen im gesamten Nordwesten Deutschlands, in Holland und in Dänemark. Bis zum nächsten Abend wurde den Deutschen Bedenkzeit gegeben, die diese nutzten, um von Karl Dönitz, Wilhelm Keitel und Alfred Jodl die Genehmigung einzuholen.
Montgomery war sich seiner Sache offensichtlich sicher, denn er hatte eine besondere Inszenierung vorbereitet. Für diese ließ er auf dem Timeloberg ein großes Zelt nebst einem Wohnwagen aufstellen. In Anwesenheit von geladenen Journalisten als Zeugen dieser geschichtlichen Zeremonie wurde am 4. Mai 1945 um 18.30 Uhr die Unterzeichnung der Kapitulation vorgenommen. Dabei legte die britische Seite großen Wert darauf, dass alles filmisch und fotografisch festgehalten wurde. Mit Leistung der Unterschrift war der Krieg im heutigen Norddeutschland zu Ende. Der damit verbundene Waffenstillstand trat für alle Land-, See- und Luftstreitkräfte am 5. Mai um 8.00 Uhr in Kraft. In Holland wurde dieser Tag zum nationalen Feiertag erklärt und seit 1990 jährlich begangen.
Montgomery nannte den Timeloberg „Victory Hill“ und ließ dort eine hölzerne Gedenktafel anbringen, die jedoch immer wieder gestohlen wurde. Ein großer dreiteiliger Stein aus Granit ersetzte sie später, ihn zierte eine englischen Inschrift, die die Erinnerung an die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht gegenüber Feldmarschall Montgomery in Nordwestdeutschland, Däne­mark und Holland zum Inhalt hatte.
Im Jahr 1958 besuchte Montgomery Lüneburg ein letztes Mal und entschied, den Gedenkstein nach Großbritannien zu bringen, wo er seinen Platz auf dem Gelände der Royal Military Academy Sandhurst fand. Heute ist der Timeloberg Standortübungsplatz der Bundeswehr und für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Der Originalschauplatz ist ohnehin kaum noch zu erkennen. Lediglich ein altes Betonfundament im Wald zeugt von den historischen Ereignissen. Erst 50 Jahre später – am 4. Mai 1995 – wurde am Rande des Hügels ein neuer Gedenkstein aufgestellt. Nachdem dieser mehrmals beschädigt wurde, steht er seit 2002 wieder an seinem Platz und erinnert an das Ereignis, das auch für die Region Lüneburg das Ende des sinnlosen Krieges mit seinen Millionen Opfern bedeutete.(ilg) Fotos: Archiv Hajo Boldt

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