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Könige der Lüfte

geschrieben von Irene Lange im Januar 2017

Die Auffangstation für verletzte Eulen und Greifvögel im Wildpark Lüneburger Heide

Wie eine Sucht sei der Beruf des Falkners, erklärt Lothar Askani – und er muss es schließlich wissen, denn der 66-Jährige gab bereits vor Jahren seinen Beruf als Werkzeugmacher auf, um sich der Falknerei und vor allem seiner Passion, den Eulen und Greifvögeln, zu widmen. „Das Interesse an diesen faszinierenden Tieren war bei mir schon in frühester Kindheit vorhanden“, erzählt er.
Als junger Mann erlernte er die Falknerei auf Burg Guttenberg bei der dort ansässigen Deutschen Greifenwarte in Bad Rappenau. Es war wohl Fügung, als ihn die Information erreichte, der Wildtierpark Lüneburger Heide wolle in Nindorf-Hanstedt eine Station für Eulen und Greifvögel aufbauen. Man bot ihm diese Aufgabe an, er stimmte zu und brachte gleich sein erstes eigenes Vogelpaar mit: einen Steinadler und einen Falken. Diese beiden gefiederten Bewohner bildeten sozusagen den Stamm. In den folgenden Jahren wurden in der Aufzuchtstation des Wildparks eine große Anzahl Eulen und Greifvögel aufgezogen — darunter auch ein Andenkondor, eine vielbeachtete Leistung! Unterstützt wird Lothar Askani fachkundig von den beiden Falknern Elke Siebert und Michael Kirchner.
Seit 1999 gibt es zudem eine Auffangstation für Eulen und Greifvögel. „Pro Jahr werden hier 40 bis 50 Tiere abgegeben“, berichet Lothar Askani. Es handelt sich meist um Vögel, die sich an Stacheldrahtzäunen, Windrädern oder an Autobahnen Verletzungen zugezogen haben, also überall dort, wo Mensch in den natürlichen Lebensraum eingegriffen hat. Zunächst wird die Schwere der Verletzungen festgestellt – meist sind die Flügel betroffen, was besonders problematisch ist. Denn wenn diese dauerhaft geschädigt sind, ist der Vogel nicht mehr in der Lage, sich selbständig zu ernähren. Doch in den meisten Fällen gelingt es, die Flug­fähigkeit wieder herzustellen und die Tiere auszuwildern. „Für uns ist es immer wieder ein schöner Erfolg, wenn ein Vogel in die Freiheit entlassen werden kann“, beschreibt Lothar Askani das Glücksgefühl in diesen Momenten.
Die Waldohr­eule Amy jedoch hat dauerhaft ein Zuhause im Wildpark gefunden. Sie verlor durch ­einen Unfall ein Auge und könnte in freier Wildbahn nicht überleben. Gemeinsam mit anderen Artgenossen wird sie nun in einer Voliere bestens versorgt.
Der Falkner verfügt über ein immenses Fach­wissen, was seine Schützlinge betrifft. So räumt er mit der verbreiteten Vorstellung auf, dass alle Eulen ausschließlich Nachtjäger seien; tatsächlich gingen die Tiere auch tagsüber auf Beutefang. Der in hoher Population vorkommende Waldkauz versetzt selbst die Vogelwelt in Aufruhr, denn er jagt auch sie, wenn das Mäuseangebot rar ist. Ebenso verschmäht er Würmer und Fische nicht. Anders als er ist die Schleiereule ein reiner Nachtschwärmer. Sie wird erst nach Sonnenuntergang aktiv; ihre Beute besteht hauptsächlich aus Feldmäusen, die sie auf freiem Feld jagt und gleich im Ganzen verschlingt.

Lothar Askani erlernte sein Handwerk auf Burg Guttenberg bei der dort

Tagsüber hockt sie dann ganz gemütlich an einen Baumstamm geschmiegt und ruht sich vom anstrengenden nächtlichen Treiben aus. In der Dunkelheit geht sie wieder auf Beutejagd. Es sind vor allem Mäuse, deren Bewegungen und Nage­geräusche sie dank des ausgezeichneten Hörvermögens bis auf zehn Meter Entfernung wahrnimmt. Auf lautlosen Schwingen nähert sie sich unbemerkt und packt blitzschnell zu.
Auch zwei nachgezogene Schnee-Eulen gehören zu den Bewohnern des Wildparks, die normalerweise ausschließlich in der Arktis vorkommen. Sie sind mit ihrem weißen oder hell-gefleckten Gefieder ihrer Umgebung hervorragend angepasst. Ihre Hauptnahrung sind Lemminge, von denen sie sich bei gutem Jagderfolg für den Winter jeweils einen Vorrat anlegen. Lothar Askani gerät förmlich ins Schwärmen, wenn er über die vielen Fähigkeiten der Eulenarten berichtet. „Sie sind noch richtige Urvögel“.
Jeweils von März bis Ende Oktober ist „Showtime“ im Wildpark Lüneburger Heide. Dann zeigen Lothar Askani und seine beiden Kollegen, über welche Fähigkeiten die „Jäger der Lüfte“ verfügen, was gleichzeitig mit einer Demonstration der engen Gemeinschaft und dem Vertrauensverhältnis zwischen Mensch und Tier verbunden ist. Parallel erfahren die Besucher auch viel Wissenswertes über die in freier Wildbahn lebenden Eulen und Greifvögel, beispielsweise, dass Adler oder Geier bis zu 50 Jahre alt werden können, allerdings meist in der Hand von Menschen. „Einer unserer Kondor-­Vögel erreichte das hohe Alter von 67 Jahren“, berichtet Lothar Askani.

Zu den Dauerbewohnern des Wildparks gehört auch der Steinadler „Schakka“. Diese große Greifvogelart zählt zu den habichtartigen Vögel, zu deren Beute auch größere Tiere wie Kitze oder Lämmer zählen. Trotz ihrer beachtlichen Größe mit einer Flügelspannbreite von über zwei Metern sind sie in der Luft äußerst wendig und schnell. Übertroffen werden sie hinsichtlich der Flugkünste lediglich von den Falken. Diese Vögel werden heute noch — vorwiegend in arabischen Ländern, aber auch in Nordamerika — zur sogenannten Beizjagd, der Falknerei, eingesetzt. Dieser Vogel spielte schon eine bedeutende Rolle, so auch in der ägyptischen Mythologie, in der verschiedene Gottheiten in Falkengestalt existierten, wie Horus (Himmel), Re (Sonne) oder Chons (Mond). Bei den Kelten galt er als Mittler zwischen dem Diesseits und dem Jenseits.
Seit Jahrtausenden sind die Menschen von Eulen und Greifvögeln fasziniert; bis heute begeis­tern deren außergewöhnlichen Fähigkeiten die ­Besucher im Wildpark Lüneburger Heide, wenn die Falkner ab dem Frühjahr zur großen Flugshow ihrer gefiederten Schützlinge einladen.
Was Thomas Askani besonders stolz macht: Erst kürzlich entschied die UNESCO, dass die Falknerei mit ihrer 3.500 Jahre alten Tradition zum Welt­kulturerbe zählt.(ilg)

Fotos: Irene Lange