Die Kopefahrt
geschrieben von Prof. Dr. Werner H. Preuß im September 2012Einst prächtiges Ritterspiel und Fastnachtsspektakel: Erstmals urkundlich erwähnt wurde Präsentation des neuen Sülfmeisters 1472

Wenn vom 28. bis 30. September in Lüneburg zum 10. Mal die Sülfmeistertage mit Festumzug, Wettspielen und großem Bühnenprogramm veranstaltet werden, so klingt in ihnen von Ferne das Fastnachtsvergnügen nach, das die Sülfmeister zur Zeit der Hanse in Lüneburg ausrichteten. So nannte man die Salzpfannenpächter, die in Lüneburg die herrschende Patrizier-Kaste bildeten und die Geschicke der Stadt lenkten.
Die Bezeichnung hat nichts mit der „Sülze“ (Saline) zu tun, auf der sie tätig waren, sondern ist plattdeutschen Ursprungs und bedeutet „Selbstmeister“, denn die Sülfmeister erhielten den Meisterbrief nicht aufgrund nachgewiesener Fertigkeiten, sondern ausschließlich aufgrund ihrer Abstammung. Ihre Anzahl war seit 1488 auf höchstens 54 Personen begrenzt, entsprechend der Anzahl der Siedehäuser auf der Saline.
Der Kreis der Sülfmeister war so groß, dass beinahe jährlich für die Verstorbenen ein oder zwei Nachfolger zu ernennen waren. Aufgenommen wurde ein Neuling auf genau vorgeschriebene Weise: Zunächst hatte er sich vor die „Salzbude“ (Kontor und offizielle Verkaufsstelle) auf der Saline zu begeben, wo ein Mitglied des „Sülfmeisterkollegiums“ ihn der Geschäftsleitung („Barmeister“ und „Bütemeister“) zur Aufnahme vorschlagen („einbitten“) musste. Dabei wurde dem Kandidaten die Standes- und Geschäftordnung („Büteordnung“) vorgelesen, deren Einhaltung er mit Handschlag gelobte. Im Anschluss begab man sich in die St. Lamberti-Kirche, wo der Anwärter vor Gott und der anwesenden Gemeinde der Sülfmeister die Rechtmäßigkeit der Satzung beschwor. Dann zog man ins Rathaus, wo der angehende Sülfmeister vor dem versammelten Rat (der weltlichen Obrigkeit) den Eid noch einmal wiederholte. Anschließend erhielt er die schriftliche Aufnahmebescheinigung, den „Bütebrief“. Gebühren sind keine Erfindung der Neuzeit, sondern waren auch damals schon zu entrichten – und die Bewirtung aller Beteiligten selbstverständlich!
Im Laufe des 16. Jahrhunderts entwickelte sich daraus ein prächtiger Fastnachtszug
In der Regel wurde der Neuling Mitte Dezember in den Kreis der Standesgenossen eingeführt. Zu Fastnacht im Februar des darauf folgenden Jahres präsentierten sich dann die neuen Sülfmeister mit einer „Kopefahrt“ der Allgemeinheit. Sie gehörten jetzt der gesellschaftlichen Elite an und wollten sich dessen in einem prächtigen „Ritterspiel“ würdig erweisen. Der Ursprung der Kopefahrt liegt heute jedoch im Dunkeln. 1472 wird sie erstmals urkundlich erwähnt. Einer handschriftlichen Chronik zufolge, die von mehreren Autoren des 18. und 19. Jahrhunderts zitiert wird, soll sie jedoch schon zwischen 1274 und 1277 zu Lebzeiten des Herzogs Johann von Lüneburg eingeführt worden sein. Möglichweise wollten die Verfasser mit einer Rückdatierung der Kopefahrt eine ältere und damit edlere Abstammung verleihen. Andererseits wirkt das polternde Spektakel selbst sehr altertümlich. Als mutiges „Ritterspiel“ kann die Kopefahrt daher schon früh dazu gedient haben, dem Fürsten Kraft und Selbstbewusstsein der städtischen Oberschicht vor Augen zu führen. Im Verlaufe des 16. Jahrhunderts entwickelte sich daraus ein prächtiger Fastnachts-umzug von mythologischen und allegorischen Gestalten. Man kann ihn sich ähnlich vorstellen wie den Karneval am Kaiserhof in Goethes Faust (2. Teil, 1. Akt).
Das Wort „Kope“ ist verwandt mit „Kuppe“ für Wölbung, dem englischen „cup“ für Tasse und „Küfer“ für Fassmacher. „Kope“ bezeichnet also ein rundes Gefäß, ein Fass. Durch Einbau einer eichenen Achse, die durch die beiden Fassböden führte, und Befüllung mit Feldsteinen wurde daraus eine große Walze. Die jungen Sülfmeister ließen zwei kräftige Hengste vorspannen und „fuhren“ sie wie eine Kutsche.
In einer Folge von sieben zu seiner Zeit schon mehr als 100 Jahre alten Kupferstichen schildert Johann Heinrich Büttner die drei Phasen eines Kope-Umzuges um 1600. Die ersten vier Zeichnungen stellen den Ritt der „Koepenforers“, der „Barmestrs“, „Rathsheren“ und „Sulfmesters“ sowie der „Koepenperde“ zum Startplatz dar. Der fünfte, sechste und, im linken Bereich, der siebente Kupferstich schildern den Auftakt zur wilden Fahrt durch die Stadt, eröffnet mit einem Fanfarenstoß und begleitet von Vorreitern, Nachreitern sowie zwei Salinenarbeitern zu Fuß, den „Sülzern“, die bei Schwierigkeiten vermutlich immer wieder eingreifen mussten. Denn wie es aussieht, wurde die Kope an nur einem Strang gezogen, der zwischen den Pferden hindurch lief und vor der Brust der Reiter an einer Querstange befestigt war, die lose jeweils in einem Bügel am Sattelknopf lag und von beiden Fahrern mit einer Hand gehalten wurde. Dadurch waren die Reiter beim Führen der Zügel natürlich stark behindert, während sie doch die Pferde sehr gleichmäßig ziehen lassen mussten. Auch wenn die Kope gerade in der Spur lief, weil die Seilenden gleich lang waren, ließ sich das schwere, schlingernde und rumpelnde Gefährt, das nur an einem Punkt auf der Straße auflag, besonders durch die Kurven an einem Strang kaum lenken. Von den beiden Kopefahrern wurde großes reiterisches wie fahrerisches Geschick und ein ganz präzises Zusammenspiel verlangt. Ihnen folgten einige Sülfmeister und eine Reihe allegorischer Gestalten zu Pferde. Der rechte Bereich des siebenten Kupferstichs zeigt die feierlich-festliche Verbrennung der Kope am Ende der Fahrt.
Darüber hinaus präsentiert das Lüneburger Museum eine etwa zwei Meter lange farbige Zeichnung auf Papier, die eine Abteilung des letzten Festzuges im Jahre 1629 abbildet. Ihr Thema ist „Zeit und Ewigkeit“. Angefertigt hat sie vermutlich der 23-jährige Georg II von Stöterogge, der die Kope damals mitgeritten ist. Wilhelm Friedrich Volger überliefert eine ausführliche Beschreibung des gesamten Zuges, der vermutlich achtmal so lang gewesen ist wie der in der Zeichnung abgebildete Abschnitt und eine Vielzahl von Gestalten aus der antiken Mythologie mitführte.
Fünf Vorreiter oder Herolde führen die Abteilung „Zeit und Ewigkeit“ an, ihnen folgt „Tempus“ – die Zeit, geflügelt mit Sanduhr und Sense. Die nächste Viergruppe bilden die Tages- und Jahreszeiten: „Aurora“ – der Morgenstern und die duftende Morgenröte, deren Blumengebinde vielleicht auch den Frühling versinnbildlicht; „Dies“ – der Tag, die Mittagssonne, deren Sense und geschnittene Ährengarbe das Halbieren des Tages, aber auch den Sommer bedeuten kann; „Vesper“ – der Abend, die Abendsonne, dessen (Ernte-) Korb zugleich eine Allegorie des Herbstes sein mag; „Nox“ – die Nacht mit Mond und Sternengewand, deren Urne oder Kohlenbecken auch den Winter darstellen könnte. Ihnen schließt sich eine Dreiergruppe an: die Lebensalter. Vorn geht „Pueritia“ – die Kindheit, mit Steckenpferd und papierener Windmühle, begleitet wohl von zwei lustigen Personen, den „Pritschenmeistern“, die bei Fastnachtsvergnügen als Festordner fungierten. In der Hand hielten sie eine Patsche (Pritsche), die aus Holz bestand, das in dünne Blätter gespalten war, oder aus Lederstreifen. Hier hat man die Pritsche wohl an einem Peitschenstiel befestigt. Die Patschenschläge taten nicht weh, verursachten aber ein klapperndes oder klatschendes Geräusch. Die Kindheit ist gekettet an „Vir“ – das Mannesalter, in Gestalt eines rot gekleideten Ritters, aufrecht sitzend mit Federbusch und Fahne. Neben ihm reitet „Senex“ – das Alter, grün gekleidet, bärtig, mit Pelzmütze und Gehstock. Eine Kette verbindet ihn mit „Mors“ – dem Tod in der nächsten Dreiergruppe. Er trägt den Pfeil, der jeden ereilt. Zu seiner Linken reitet „Fides“ – der christliche Glaube, ein Engel mit einem grünen Kleid und dem Kreuz in Händen. Zur Rechten des Todes sitzt „Spes“ – die zuversichtliche Hoffnung, im Sattel. Ihr Zeichen ist der Anker.
Den Abschluss des Themenkomplexes „Zeit und Ewigkeit“ führt an: „Corona vitae“ – die Krone des Lebens, das ewige Leben in Gestalt eines gekrönten Engels, der eine Krone vor sich her trägt. Ihm folgen: „Unio mystica“ – die Vereinigung mit Gott, charakterisiert durch einen Verlobungsring mit Edelstein; „Pax“ – der ewige Frieden, den Palmzweig haltend; „Charitas“ – Gottes allumfassende Liebe, das Herz in den Händen. Zwei Akrobaten, die einen Flickflack vorführen, trennen diese Abteilung von der nächsten, von der nur noch die drei grünen Vorreiter im Bild überliefert sind.
Auf den Kope-Umzug folgte die „Große Collation“, das üppige Festgelage als Einstand der jungen Sülfmeister im Kreise ihrer Standesgenossen. Die „Kope-Komödie“, die vom Schultheater des Johanneums ausschließlich vor geladenen Gästen aufgeführt wurde, bildete den dritten Teil und musischen Abschluss des Fastnachtsvergnügens der Sülfmeister, der Kopefahrt.
Mehr dazu in: Werner H. Preuß: Schauspiel der freien und unbändigen Jugend oder Komödie vom ungeratenen und verlorenen Sohn. Fastnachtsspiel von Nicolaus Loccius zur Lüneburger Kopefahrt 1619. Husum (Husum) 2011
Repros: Werner H. Preuß
Weitere Artikel:
Bardowicker Gesäßhuldigung
Brutzeln und kochen für den Denkmalsc...
Frieden war das schönste Geschenk
Willkommen im Katzenparadies
Plötzlich scheinreich
Trabis, Tränen und eine Stadt im Taum...
Wie geht eigentlich Kunst?
Bruchbuden gegen den Wohnraum-Mangel
Auf der Lüneberger Heide?
„Der Sturm“ wird ein Bühnen-Orkan
Der Hochzeitstag ist auch nur ein Datu...
Re(h)agieren Sie rechtzeitig
Ein Tag für Ja-Sager
Gehen Sie doch einfach mal am Stock...
Oase des Glücks
Die Kampfkunst des Mittelalters
Wie böse ist die Schlange wirklich?
Per App auf Zeitreise
Rule Brexitannia
Suchbild des Monats September 2019
Lüneburg Aktuell

Lüneburg Aktuell
Heute schon lesen was morgen in der Zeitung steht
Veranstaltungskalender
Mittagstisch
Kleinanzeigenmarkt
http://www.lueneburgaktuell.de/