Magazin über das Leben in Lüneburg
Themen
Alle Themen und Artikel

Das Wappen von Lüneburg

geschrieben von Prof. Dr. Werner H. Preuss im März 2012

Hervorgegangen sind sie aus dem Siegel der Stadt – so auch das Wappen Lüneburgs, das noch heute in ­unterschiedlichen Ausführungen das Gesicht der Hansestadt ziert

An der Wand des Vortragssaals in der Musikschule hängen vier rätselhafte Fragmente aus Kalk- und Sandstein. Drei von ihnen hat der Architekt und Denkmalschützer Franz Krüger 1901 ausführlich beschrieben und als „Beischlagwangen“ interpretiert – so nennt man die Seitenlehnen der Steinbänke, die früher vor vielen Häusern in Lüneburg standen. Das vierte Fragment, ein verstümmeltes Lüneburger Stadtwappen aus Sandstein, blieb auch für ihn unerklärlich. Begeben wir uns also auf eine Forschungsreise in die Vergangenheit unserer Stadt!

An der linken Seite des Wappens sind deutlich drei Finger einer Löwenpranke zu erkennen. Löwen als Schildhalter sind nicht ungewöhnlich. Hält nur einer das Wappen, so greifen die Pranken von oben. Wird es von zwei Löwen flankiert, so packen sie an beiden Seiten zu – und zwar mit beiden Tatzen. Und wenn man genau hinschaut, erkennt man neben dem linken Turm auch die Finger der anderen Pranke. Das Sandsteinrelief war also ursprünglich viel größer, das Wappen links und rechts von aufrecht stehenden Löwen flankiert.

Wo findet man ein Stadtwappen angebracht? An öffentlichen Gebäuden. Eine Vielzahl von ihnen kann man noch heute am und im Ratshaus bewundern. Eines entdeckt man auch weithin sichtbar am Giebel des Alten Kaufhauses, das früher eine städtische Einrichtung gewesen ist. Manche dieser Wappen unterscheiden sich stark voneinander, denn sie wurden von Künstlern gestaltet, und diese hatten darin früher größere Freiheit als heute, wo das Aussehen des „richtigen“ Wappens durch eine Verordnung geregelt ist.

Wappen sind aus den Petschaften hervorgegangen, mit denen die Städte Urkunden und Briefe beglaubigten. Das älteste erhaltene Siegel Lüneburgs datiert aus dem Jahr 1247, in dem Herzog Otto das Kind ihm die Stadtrechte verlieh. Es zeigt ein gotisches Tor mit einem Kleeblattbogen, reichem „Wim­perg“ – so nennen die Steinmetze Ziergiebel – und drei mit Zinnen bewehrten Türmen. Im Tor befindet sich ein dreieckiges Schild mit einem aufrecht stehenden, nach links geneigten Löwen, dem Wappentier des Fürstentums Lüneburg, das uf Heinrich den Löwen zurück verweist. Die Umschrift lautet: „Sigillum Burgensium de civitate Luneburch“, zu Deutsch: „Burgsiegel der Gemeinde Lüneburg“. Der Begriff „Burg“ bedeutet in diesem Zusammenhang: befestigter, von einer Mauer eingefriedeter Ort, dessen Einwohner sich entsprechend „Bürger“ nannten. Auffallend ist das gespiegelte „S“, das im bis 1846 gültigen Stadtsiegel beibehalten wurde.

Franz Krüger fand im Jahre 1900 allein im Rathaus „76 Stadtwappen aus der Zeit von ca. 1480–1606, theils plastisch in Holz und Stein dargestellt, theils auf Holz oder Metall gemalt und alle in der ursprünglichen Form erhalten.“ Zusammenfassend stellt er fest: „Das Lüneburger Wappen besteht aus einer von 3 Thürmen verschiedener Form gekrönten Mauer, in welcher sich unter dem Zinnengesims ein schwarzer Thorbogen mit goldenem Fallgatter öffnet. In diesem Thorbogen befindet sich ein goldener Schild mit einem schreitenden blauen Löwen in roten Herzen [...] in beliebiger Anzahl, schwankend zwischen 8 und 22 Stück.“

Stadtarchivar Ulrich Wendland ergänzt 1957: Bekanntlich sind „die Lüneburger Stadtfarben Rot – Blau – Weiß, also die Haupt- und Grundfarben unseres Wappens. Bereits im 16. Jahrhundert hat man jedenfalls die Vorstellung und das Bewusstsein gehabt, dass diese Farben der Stadt zukamen; so sind damals die berühmten Geweihleuchter im Fürstensaal mit rot-blau-weißem Anstrich versehen worden. Von einer rot-blau-weißen Stadtfahne hören wir allerdings zum ersten Mal am 8. April 1848; an diesem Tage wurde sie zur offiziellen Begrüßung der vielversprechenden Bürgerrevolution feierlich auf dem Rathaus gehisst.“

Ludwig Albrecht Gebhardi beschrieb 1764, wo und in welcher Gestalt er das Lüneburger Stadtwappen entdecken konnte. Er fand es auf alten Münzen und öffentlichen Gebäuden als Hoheitszeichen: am Rathaus, am Alten Kran und an den Stadttoren. Diese bestanden aus einem inneren und einem äußeren Gebäude, zwischen denen ein ­Tunnel durch den Wall führte. Die Tore waren mit den Wappen der Stadt und des Landesherrn dekoriert und zeigten steinerne Darstellungen von Schutzheiligen. So prangte am äußeren Sülztor ­eine riesige, kreisrunde „Blende“ (Wandnische) mit beinahe fünf Fuß hohen Statuen aus Sandstein. In der Mitte war unter einem Baldachin die Heilige Dreifaltigkeit versammelt: zur Rechten Gott Vater, sitzend, mit der dreifachen Krone, zur Linken der Heiland, nackt, mit dem Kreuz und darüber schwebend die Taube als Symbol des Heiligen Geistes. Daneben standen unter besonderen Baldachinen links St. Johannes der Täufer und rechts Moses mit den Gesetztafeln. Neben dieser großen Nische befand sich an jeder Seite eine halb so große Blende, links mit dem herzoglichen Schild, rechts mit dem Stadtwappen. Der Symmetrie wegen schaut der Löwe auf dem linken Emblem nach rechts, im Burgtor auf dem rechten aber nach links. Direkt über dem Torbogen standen die Bau- und Renovierungsdaten in Stein gehauen: „Aedificatum 1440, renovatum 1593 |et 1656|“.

Am inneren Sülztor prangte unter der Jahreszahl 1594 das „große Stadtwappen“, das am Kaufhaus, am Niedergericht und am Eingang des Huldigungssaales noch zu sehen ist. Bei diesem wird das Schild mit den drei Türmen von einem Helm bekrönt, auf dem sich eine goldene, braune oder ­rote Säule erhebt, aus der oben weiße Federn (manchmal auch Pfauenfedern) wachsen und an der rechts ein blauer Löwe empor kriecht, während links die Mondsichel daran befestigt ist. Dieses Wappen spielt auf die Sage an, nach welcher Caesar bei einem Feldzug in den Norden Germaniens auf dem Kalkberg ein Mondheiligtum gestiftet habe. Von diesem leitete man den lateinischen Namen „Lunaburgum“ (Lüneburg) ab.

ebhardi beschreibt das große Wappen des inneren Sülztores ausführlich. Löwen als Schildhalter erwähnt er jedoch nicht. Die fand er aber an der Feldseite des Bardowicker Tors, am „Hufeisen“ des Festungswerkes. Hier ist „der Löwe vier Mahl in Stein gehauen zu sehen, und wie es scheint im ­rothen Felde. Dazwischen recht [gerade] über dem Thore ist der vorbeschriebene Stadtschild, den aber zwei Löwen als Schildhalter halten, mit der Jahreszahl 1574.“ Das könnte der gesuchte Wappenstein sein. Auch stilistisch passt er in die fragliche Zeit des Frühbarock. Die mächtige geschwungene Mauer und die Türme stellen ein wahres Bollwerk vor. In allen Stockwerken erblickt man Öffnungen für Kanonen. Sie muten an wie umgekehrte Schlüssel­löcher, damit der Kanonier über das Geschütz hinweg nach draußen sehen konnte.

Damit wären wir am Ziel unserer Forschungsreise in die Lüneburger Vergangenheit angekommen – wenn es nur eine Ansicht des Bardowicker Tores um 1600 gäbe, auf der die Wappendarstellungen markiert wären! Wer kennt eine?

Fotos: Werner H. Preuss

Anzeige