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Malen ist Gebet

geschrieben von Natascha Mester im Oktober 2013

übernimmt die Gestaltung der Flügeltüren am Prospekt der Orgel in der St. Nikolai-Kapelle in Bardowick

Die Zinnpest hatte einen Großteil der im 16. Jahrhundert gefertigten Pfeifen befallen, der Prozess des endgültigen Dahinscheidens des Instruments war nur eine Frage der Zeit. Erst in diesem Jahr – im Zuge der Sanierung der Nikolai-­Kapelle und des gesamten Gebäudekomplexes des Nikolaihofes in Bardowick — hat auch die Orgel durch eine umfassende Res­taurierung ihre klingende Stimme zurückerhalten.
Wo noch im 13. Jahrhundert Leprakranken ein Obdach gegeben wurde, ging es im Jahr 2013 in erster Linie um die Sicherung der Statik, wie Stadtbaurätin Heike Gundermann erklärt. Außenhülle und Gewölbe wurden stabilisiert, Mauerwerk und Dachkonstruktion erneuert. Doch hat auch das Dekorative in solch einem Bau seinen Platz: Die alten Glasfenster wurden restauriert und bescheren dem Betrachter fortan wieder lichte Momente.
Und die Orgel? Sie erstrahlt nicht nur klanglich in neuem Licht sondern soll, wie es in der Renaissance häufig üblich war, zwei große, bemalte Flügeltüren erhalten, die zu den Gottesdiensten geöffnet den Blick auf das prunkvolle Instrument freigeben. Der im russischen Perm geborene Künstler und Wahllüneburger Andrej Becker erhielt den Auftrag für die Gestaltung und wird mit seiner zeitgenössischen Ausformulierung den Bogen vom Cinque­cento ins Heute schlagen.
In der sakralen Thematik ist Becker kein Fremder mehr, nahe St. Petersburg setzte er bereits Auftragsarbeiten für die Gestaltung zweier Altäre um, zog später zeitweise in ein Kloster, um in kontemplativer Abgeschiedenheit zu arbeiten. Eine große Inspirations­quelle sei dies gewesen, sagt der Maler rückblickend, der sich selbst als einen gläubigen Menschen bezeichnet. Das Arbeiten im sakralen Raum gleicht für ihn einem Gebet. Und so finden sich dann auch immer wieder Anklänge aus der Ikonenmalerei in seinen Bildern, wie die plakative Darstellungsform, das Symbolhafte, Elemente aus Blattgold als Sinnbild für das Erhabene.
Sein Bilderzyklus „Todsünden“, der in 2008 in der Lüneburger St. Michaeliskirche gezeigt wurde, ist ein Beispiel dafür, dass sich Becker immer wieder auch dem großen Kanon der biblischen Themen widmet – der Mensch steht dabei im Zentrum seiner Arbeit.
Für den neuen Auftrag, der Bemalung der zwei Orgelflügel, für die der ihn vertretende Galerist Hermann Jürgen Meyer vorgeschlagen hatte, war er sofort Feuer und Flamme; eine große Herausforderung, nicht nur des Maßstabs wegen. Becker, der an den renommierten Kunstakademien Russlands studierte, hatte mit der kunstreichen Stadt St. Petersburg eine gute Lehrmeisterin, die ihm mit ihren zahlreichen Galerien und Sammlungen jederzeit Gelegenheit bot, sich an den großen Meistern zu orientieren. Diese Traditionsverbundenheit ist bis heute in seinen Arbeiten zu spüren, und doch beschreitet er mit seinem unverkennbaren Stil gänzlich neue Pfade: nicht die naturgetreue Abbildung, stattdessen eine Vereinfachung, eine Abstraktion, die bei aller Liebe zur Ästhetik und Harmonie in den Vordergrund gestellt wird.

In der Motivwahl bezieht sich Becker auf das Umfeld: der Schutzheilige der Kapelle, St. Nikolaus und ein Mönch als Stellvertreter für Franz von Assisi.

n der Motivwahl für die großen Flügeltüren der Nikolai-Orgel will sich Becker auf das Umfeld beziehen: Auf dem einen Segment soll der Schutzheilige der Kapelle, St. Nikolaus, zu sehen sein. Die gegenüberliegende Seite wird wohl einen Mönch in schwarzer Kutte zeigen, das Kirchenhaus im Hintergrund. Er steht symbolisch als Mitstreiter und Stellvertreter für Franz von Assisi, der sich seinerzeit selbst der Pflege der Aussätzigen verschrieben hatte – im Angedenken an das „Haus der armen Kranken“, der Lepra­opfer, in Bardowick. Zahlreiche Studien gehen dem finalen Motiv voraus, bevor dieses im nahen Atelier in Bardowick mit Ölfarben auf die gewaltigen hölzernen Flügeltüren gebracht wird. Doch lässt der Träger des Lüneburger Kulturpreises von 2007 immer auch Raum, um das Motiv korrigieren, seine Intentionen einfließen lassen zu können, die sich während des Arbeitsprozesses ergeben. Symbolhaftes ist, wie so oft in seinen Arbeiten, auch hier zu finden: ein kleines Rad als Symbol des Lebens, Schrift­elemente aus Chorälen von Bach, geschrieben für die Orgel, das Kreuzzeichen.
Wer in den kommenden Monaten an der kleinen Kapelle des ­Nikolai-Hofes vorüberkommt, der wird vielleicht Andrej Becker begegnen, der hier die Atmosphäre einatmet, sich inspirieren lässt für das endgültige Motiv. Noch befindet es sich in seiner Entstehungsphase. Die Weihung der neuen Flügeltür am Prospekt der Orgel ist für den 1. Dezember mit einem begleitenden Gottes­dienst vorgesehen.(nm)

Foto: Enno Friedrich

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