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Mit dem Bass im Arm die Welt umspannen

geschrieben von André Pluskwa im Dezember 2012

Zu Besuch bei Jens Wrede, Berufsbassist, auf dem Teppich geblieben

Wie es mit dem Wesen der Kunst in heutigen Zeiten bestellt ist, darüber machen sich die klugen Köpfe nicht erst seit Adorno Gedanken. Das Spannungsfeld zwischen Selbstausdruck und Dienstleistung, Sachzwang und Freiheitsgefühl sollte für uns alle von Interesse sein. Dort nämlich wird uns ein Blick in die Essenz unserer Erfüllung gewährt. Große Worte, guter Grund: Wir sind zu Besuch bei Jens Wrede, Bassist, Wahllüneburger und Paradebeispiel für einen gesunden entspannten Umgang mit dem eigenen ­Leben. Er zählt zu jenen Lüneburger Berufsmusikern, die wohl am weitesten herumgekommen sind; dabei kennen vermutlich nur wenige seinen Namen.
Ihm sind sie bekannt, die Ochsentouren: das Tingeln durch die Gaststätten und Hochzeitssäle der Republik, die üppig honorierten Engagements in den Luxushotels Arabiens, Dauerjobs in Musicals und Theatern, eigentümliche Brotjobs im Schlager­kontext vor 12.000 Menschen — eine nie abreißende Serie neuer Bekanntschaften und entsprechender Jobs und Projekte, vom Einspielen von Filmmusik bis zum Engagement als Studiomusiker. Allein während unseres Gesprächs fragen zwei Anrufer an, ob er an diesem oder jenem Termin spielen könne. Ein Blick auf den Kalender. Er kann.
Dennoch, vor mir sitzt keine Diva, kein weltabgewandter Träumer, kein Perfektionist oder Karrierist, sondern ein gut gelaunter Mann Mitte 40, der den Vorzug, auf diese Weise seinen Lebensunterhalt bestreiten zu dürfen, sehr zu schätzen weiß, der die Eigenheiten seines beruflichen Umfeldes mit einer gehörigen Portion Humor und Gelassenheit quittiert. „Dass ich Bassist geworden bin, lag eigentlich nur daran, dass ich damals in der Schule auf das Kursangebot „Wir gründen eine Rockband“ reagierte. Doch als ich ankam, waren die Gitarrenplätze bereits vergeben, mir wurde der Bass zugewiesen.“ Es begann eine Reise in Sachen Musik, die bis heute andauert und von deren Halte­stellen wir hier zumindest einige nennen wollen.
Die Einflüsse? „Da nenne ich gerne die Beatles, ­Miles Davis, Joe Zawinul, Marcus Miller und Level 42. Dabei geht es vor allem um den Geist dieser Musik. Ich werde nie vergessen, wie ich über Level 42 das Slappen entdeckte, hatte technisch überhaupt keinen Plan, wie man das macht, bis ich es dann im Fernsehen beim Rockpalast gesehen habe.“ Weiter ging es mit der Entdeckung der amerikanischen Singer-Songwritersänger/innen Shawn Colvin, Jonathan Brooke oder John Mayer. Sie erweitern auch heute noch stetig den musikalischen Horizont.
Die Ausbildung? „Dazu gehörten unter anderem aufschlussreiche Tingeltangeltouren durch deutsche US-Army-Clubs als Teil einer Funkband.
Was die große Karriere betrifft, habe ich mich immer auf das Nötigste konzentriert. Ich zählte nie zu denjenigen, die sich täglich hinsetzen und viel üben; ich bin ein Macher, der auf die Bühne geht und Songs mitspielt, die er nicht kennt.“

Er zählt zu den Berufsmusikern, die herumgekommen sind; dabei kennen vermutlich nur wenige seinen Namen

Daraus ergab sich im Laufe der Zeit dann auch ein ad acta gelegtes Dauerstudium der Musik und Geschichte auf Lehramt, ein Studienplatz am Konservatorium Groningen und an der der Popakademie Hamburg.
Der Werdegang? „Seit zehn Jahren habe ich eine ­eigene hartgesottene Partyband für jeden Anlass. Jeder, der „Fleisch ist mein Gemüse“ von Heinz Strunk gelesen hat, weiß in etwa, wie skurril so ein Job sein kann. Auch war und bin ich, oft als zweiter Mann, mit Sprechrolle in Musicals und Theatern dabei, so auch bei „Buddy“, „Tarzan“, „Mamma Mia“ oder „Aida“. Die erfolgreiche Wechseljahre-­Revue „Heiße Zeiten“ war nur für einen kurzen Zeitraum anberaumt, inzwischen habe ich an rund 250 Aufführungen in Hamburg und in der Schweiz teilgenommen.“ Auf seinen beruflichen Touren erledigt er im Hotelzimmer dann auch noch Vertonungsjobs für TV-Produktionen wie „Länder, Menschen, Abenteuer“ oder er kümmert sich um Aufnahmen für Pop-/Rockproduktionen. Hinzu kommen Touren und Aufnahmen mit Achim Reichel, Stefan Gwildis, Maite Kelly, Ina Müller, Rolf Stahlhofen (Söhne Mannheims), Eddy Winkelmann, Gregor Meyle, Lotto King Karl, Carolin Fortenbacher oder mit dem Schlagerbarden Semino Rossi. Mit anderen Worten: viel Publikum, viel Tourbus, viel musikalische Dienstleistung, viele tolle und lustige Geschichten. Mit Rolf Stahlhofen beispielsweise war er in Tirana, Hauptstadt von Albanien. Dort hatte man eine dieser Prachtstrassen für Militärparaden mit mehreren 1.000 Sitzplätzen bestuhlt, im Hintergrund floss der Verkehr weiter. Auf uns wartete eine Bühne ohne Dach, 40 Grad im Schatten, kein Wasser. Zur Veranstaltung selbst kamen keine 100 Leute, in den ersten Reihen ein paar befremdlich dreinschauende Politoberhäupter. Und dann gibt es da noch den Hotelmanager, der in Wredes Partyband vernarrt ist; übernimmt er ein neues Hotel, holt er ihn gerne nach Dubai und Abu Dhabi. „Ich würde sonst im Traum nicht daran denken, dorthin zu ­fahren.“
„Soziale Kompetenzen sind wichtig in diesem Job — und viel Toleranz — sei es für den Tourbus, den Orchestergraben oder in Bezug auf die Musik. Manchmal wünschte ich mir mehr Hamburger Schule, weniger Schlager und Massen-Entertainment. Auf der anderen Seite ist es gut so, auch, weil ich Kinder habe, die zu Hause auf mich warten.“ Sagt’s und nimmt einen Anruf entgegen, der ihm einen kleinen Job im Dezember bringt. Draußen ist es grau, Jens Wrede strahlt Zufriedenheit aus, seine Augen lachen. Ein Musikerdasein in ­Ausgeglichenheit ohne Selbstüberhöhung und Exis­tenznot ist also möglich, auch für Bassisten ohne aufgesetzte Karriereallüren.(ap)


Foto: ellen debray

  • Jens Wrede live:
  • 3.12. mit Eddy Winkelmann
  • im Schmidt’s Theater, Hamburg
  • 7.12. mit Blues Force live in Session
  • Behns Gasthaus, Ashausen
  • myspace.com/basswrede

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