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Ist hier noch Raum frei?

geschrieben von Sarah Kociok im Januar 2012

Studentische Initiativen setzen sich für den Erhalt kultureller Freiräume ein –auch für Nichtstudierende!

Wer AStA Wohnzimmer sagt, muss auch PlanB sagen — zumindest wenn es darum geht, die studentischen Freiräume auf dem Campus der Leuphana Universität Lüneburg zu benennen. Dazu zählt auch das mobile Projekt umbauWAGEN!. Doch was ist es eigentlich, das diese Studierendenprojekte verbindet?

Hinter jeder dieser Räumlichkeiten steht eine Ini­tiative, die auf ihre individuelle Art und Weise versucht, das kulturelle Leben der Stadt Lüneburg zu bereichern. Zielgruppe sind hierbei keinesfalls ausschließlich Studierende, auch wenn das Angebot zuweilen noch überwiegend von jenen genutzt wird. Ein Blick durchs Schlüsselloch lohnt sich für jeden – denn alle drei Projekte verbindet eine ganz bestimmte Vorstellung von selbstgestalteter Hochschulkultur. Die Organisationsstrukturen im Hintergrund sind innovativ, originell und leben vom inter­disziplinären Wissensbackround der Teammitglieder: Die Ideologie einer gleichberechtigen Entscheidungskultur und den Wunsch nach inhaltlicher Selbstbestimmung aller partizipierenden Initiativen und Akteure haben sie eindeutig gemeinsam.

Gebäude 9, Campus Scharnhorststraße, Oktober 2011: Eine Hand voll Studierende trifft sich in den ehemaligen Räumen des AstA Copy, einem selbstverwalteten Kopierladen, der nach mehreren Jahren dem wirtschaftlichen Druck der Konkurrenten nachgeben musste. Räume an der Leuphana Universität sind zu diesem Zeitpunkt rar wie nie zuvor und allen studentischen Gremien und Initia­tiven war klar: Eine gutes Konzept für eine alternative Nutzung muss her. Schnell entwickelten sie gemeinsam den entscheidenden PlanB: Dieser Raum muss frei bleiben, für die natürliche Entfaltung von Projektideen, Kulturprojekten und Gesprächsrunden zwischen engagierten Studierenden, Bürgern und Kulturschaffenden. Vor allem aber soll der PlanB einen gemütlichen Rückzugsort bieten, um sich dem Selbststudium zu widmen. Mit dem Slogan „Wir können alles, außer Kaffee“ lädt das liebevoll eingerichtete Ambiente im ers­ten Stock des an den Hörsaal grenzenden Gebäudes Neugierige zum Verweilen ein. Seit enigen Wochen ist PlanB geöffnet und die Zukunft der Räumlichkeiten bleibt weiterhin offen. Bis dahin sind insbesondere Kunstschaffende und alle kulturell aktiven Bürger eingeladen, die Räume für temporäre Ausstellungen und Aktionen zu nutzen und mit den Studierenden in den Dialog zu treten.

Älteren Semestern und den in Lüneburg verbliebenen Ex-Studierenden kommt dieses Konzept im Ansatz sicherlich bekannt vor: Bereits 2003 wurde das AStA Wohnzimmer ins Leben gerufen und war lange Zeit eine feste Institution, gerade für Studierende der Kulturwissenschaften. Verschiedenste Kulturprojekte fanden hier bereits Platz, und die Einrichtung, welche an ein gemütliches 60er Jahre-Wohnzimmer erinnert, ist Inspiration für den einen oder anderen Seminarfilm. Schwierig ist es jedoch, die Erstsemester-Studierenden für die Idee der Mitgestaltung zu begeistern, weswegen die Kapazitäten kaum ausgeschöpft werden, beziehungsweise die vielfältigen Möglichkeiten meist erst spät erkannt werden. Umso beeindruckender ist daher die Tat­sache, dass die Verwaltung und Instandhaltung seit nun mehr acht Jahren über ein ehrenamtliches ­Patensystem funktioniert, in dem mittlerweile keiner der Gründer mehr aktiv ist. Die ursprüngliche Idee lebt somit.

Kunstschaffende und kulturell aktive Bürger können "PlanB" für temporäre Ausstellungen und Aktionen nutzen

Eine Plattform für eine nicht institutionelle Vernetzung möchte auch der umbauWAGEN! sein, der 2010 erbaut wurde. Der Name ist Programm: Dahinter steckt ein umgestalteter Bauwagen, der in eine multi­funktionale Kulturplattform umgewandelt wurde. Unterstützt durch die Räumlichkeiten des Studierendenwerkes baut ein Team aus sieben Personen stetig am Interieur des Wagens weiter, aber vor allem auch am Selbstverständnis der Idee, eine unabhängige Plattform zu sein, die den Anspruch erhebt, alle Entscheidungen im Konsenz zu treffen. In der Praxis bedeutet dies nämlich, dass keine Kooperation eingegangen wird, welche nicht die hundertprozentige Zustimmung aller Initiativenmitglieder findet. Der umbauWAGEN! war 2011 bereits auf dem lunatic Festival, dem Sonar Festival, auf der Anti-Castor-Demo und im Clamatpark im Einsatz.

Welche indirekte Strahlkraft diese vermeintlich kleinen Projekte auf die Lüneburger Kulturszene haben, wird oft erst nach mehreren Jahren deutlich: Knapp ein Jahrzehnt, nach dem unter anderem Thore Debor und Axel Bornbusch das AStA Wohnzimmer gründeten, betreiben jene heute gemeinsam den Coworking-Space FREIRAUM und gehören zum Team der Hausbar und des Salon Hansen. Viele Gründer­Innen des PlanB sind stark in der Hochschulpolitik aktiv, und auch die umbauWAGEN!-Crew besteht größtenteils nicht aus ehrenamtlichen Einmal­tätern, sondern aus solchen, die auch in weiteren Projekten aktiv sind, die sich aus dem Campus-Kontext lösen. Fakt ist: Die Interaktion zwischen den Kulturschaffenden der Region und den Studierenden findet oft im Stillen statt und sie sind er­frischend unkonventionell miteinander vernetzt. Wer neugierig ist, welche Impulse für die Kulturlandschaft Lüneburgs sich in naher Zukunft entwickeln könnten, der sollte beim nächsten Mittagsspaziergang an der Ilmenau eventuell einen Abstecher über den Campus wagen. Denn genau für diesen Dialog wurde hier von studentischer Seite aus Raum geschaffen. (sk)

Fotos: Hannah Bahr