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Ratssilber im Kreidebergsee entdeckt

geschrieben von Christiane Bleumer im April 2019

Nach Klaus Pätows sensationellem Fund muss ein Teil der Stadtgeschichte neu geschrieben werden

s war eines der bestgehüteten Geheim­nisse der vergangenen Monate. Nur die engsten Vertrauten rund um Eduard Kolle und Teile der Verwaltungsspitze wussten Bescheid. „Alle haben dichtgehalten“, freut sich Bürgermeister Kolle. Aber nun soll es endlich an die Öffentlichkeit, sollen alle Bürger erfahren, was sich im Spätherbst in Lüneburg ereignet hat.
Wie jedes Jahr nach dem Sommer machte sich Klaus Pätow daran, den Uferbereich des Kreidebergsees zu reinigen. Dass er dabei immer wieder Bierdosen, diverse Überreste sommerlichen Picknickvergnügens, vergessenes Besteck oder auch die ein oder andere Flaschenpost entdeckt, ist gar nicht so ungewöhnlich. „Ich bin immer wieder erstaunt, was die Leute so alles liegen lassen. Aber der Kreidebergsee ist eben bei vielen Lüneburgern besonders beliebt“. Als ehrenamtlicher Beauftragter für die Pflege der Lüneburger Grünanlagen ist er daher an diverse Funde gewöhnt, wenn er mit den Aufräumarbeiten beginnt. Teilweise zu Fuß in seiner praktischen Wathose und oder mit einem kleinen Schlauchboot – so kennen ihn die Anwohner, wenn er mit dem „Herbstputz“ beginnt.

Doch was er vergangenes Jahr dabei im Uferbereich entdeckte, kam selbst ihm ein bisschen merkwürdig vor. „Erst dachte ich, irgendjemand habe seine Küchenutensilien dort entsorgt“, sagt er, der in den langen Jahren seiner Tätigkeit wirklich schon viel gesehen und erlebt hat. Doch dass es sich nicht um die normalen Hinterlassenschaften eines Müllferkels handeln konnte, wurde Pätow schnell klar. Es glitzerte und glänzte trotz des Schmutzes, der die Stücke teilweise bedeckte. „Dass mein Fund ziemlich alt und wertvoll sein musste, habe ich sofort erkannt.“ Vor allem das große Gewicht der einzelnen Gegenstände ließ ihn stutzen. „Als wäre es massives Silber.“
Als er das erste Stück aus dem kniehohen Wasser geborgen hatte und in seinen Händen hielt, wurde ihm schließlich die ganze Tragweite seiner Entdeckung klar. „Im Lüneburger Rathaus hatte ich erst vor Kurzem bei einer Besichtigung einen ähnlichen Pokal gesehen. Ich konnte mich aber noch gut an die Erläuterungen der Rathausführerin erinnern, dass es sich dabei nur noch um Nachbildungen handeln würde, weil die Originale in einem Berliner Museum seien.“ Was lag dort also im Kreidebergsee verborgen?
„Hatte ich Jahrhunderte später Teile des Original Lüneburger Ratssilbers gefunden?“ Klaus Pätow war so aufgeregt, dass er sich erst mal hinsetzen

musste. „Dann rief ich den Oberbürgermeister höchst­persönlich an.“ Um das Silber zu schützen, vereinbarten die beiden absolutes Stillschweigen, bis der Schatz geborgen werden konnte. „Bis zu diesem Zeitpunkt wusste niemand, wieviel auf dem Grund des Sees noch zu finden sein würde“.
Bürgermeister Kolle, Ex-Taucher bei der Marine, erklärte sich sofort bereit, in das nur rund 14 Grad kalte Wasser des Sees zu steigen. Was er dann ans Tageslicht beförderte, übertraf die kühnsten Erwartungen aller Beteiligten: Schalen, Becher und Teller, die auch heute noch vom unglaublichen Reichtum Lüneburgs im Mittelalter zeugen. Der Blick in die Archive zeigte schnell, dass der Verkauf des Ratssilbers im Jahr 1874 nicht nur Befürworter hatte. Vor allem Wilhelm Friedrich Volger sprach sich vehement gegen diese Aktion aus. Doch die damaligen wirtschaftlichen Verhältnisse Ende des 19. Jahrhunderts ließen dann wohl keine andere Lösung zu, so dass die wertvollen Stücke unter Oberbürgermeister Ludolph Ulrich Fromme nach dem Ratsbeschluss vom 7. November 1873 verkauft wurden. Die His­toriker vermuten nun, dass es einigen gewitzten Gegnern des Verkaufs damals gelungen sein muss, Teile des wertvollen Schatzes im See zu verstecken und Nachbildungen für gutes Geld an das Berliner Gewerbemuseum zu verkaufen. Warum das Ratssilber auf einmal sichtbar werden konnte, darüber gibt es nur Vermutungen: Wahrscheinlich lag es an dem unglaublich trockenen und heißen Sommer 2018, der den Wasserstand auch des Kreidebergsees so weit hinabsinken ließ wie nie zuvor. Der See gab so das verborgene Ratssilber aus der Tiefe frei.
Nun muss die Geschichte des Lüneburger Ratssilbers, das einmal zu den reichsten und ältesten Sammlungen Deutschlands gehörte, wohl neu geschrieben werden, vermutet Eduard Kolle. Denn wie genau der Schatz in den Kreidebergsee gekommen ist und wer damals dafür wirklich verantwortlich war, darüber gibt es keinerlei Aufzeichnungen in den gut geführten Archiven der Stadt. Sicher ist nur eins: Die jetzt gefundenen Teile bleiben in der alten Hansestadt und werden nach ihrer Aufbereitung und Restaurierung auf jeden Fall einen Ehrenplatz im Rathaus bekommen.
Foto: Enno Friedrich

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