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Vom C1 zum D3

geschrieben von Natascha Mester im Dezember 2013

Halsbrecherische Läufe, stimmliche ­Virtuosität: Die Koloratursopranistin Ruth Fiedler gehört seit der Spielzeit 2013/2014 zum Lüneburger Ensemble und brilliert aktuell als Lucia di Lammermoor in der gleichnamigen Donizetti-Oper

Diese schnellen, präzisen Läufe, diese halsbrecherischen Akkordsprünge: Was ein so genannter Koloratursopran mit seiner Stimme bewerkstelligt, das grenzt zuweilen schon an gesanglichen Hochleistungssport. Wie federleicht Stimme dann trotz dieser großen Kunst zu klingen vermag, hat Ruth Fiedler gerade am Theater Lüneburg in einer der anspruchsvollsten Paraderollen für Koloratursopranistinnen gezeigt: die Lucia in der Belcanto-Oper „Lucia di Lammermoor von Gaetano Donizetti.
Es wird wohl noch ein gehöriges Weilchen ver­gehen, bis diese Lucia bei dem überwältigten Publikum in Vergessenheit geraten ist. Und das ist gut so, denn von Frau Fiedler werden wir auch im zweiten Halbjahr der Spielzeit noch so einiges zu hören und zu sehen bekommen.
Der Dramatiker Heiner Müller formulierte einmal: „Was man nicht sagen kann, kann man singen.“ So oder ähnlich lautet dann wohl auch der Beweggrund für den Beginn einer Karriere, die im belgischen Mons ihren Anfang nahm. Dort nämlich saß vor 30 Jahren ein dreijähriges Mädchen mit leuchtenden Augen vor dem elterlichen Plattenspieler und hörte sich unzählige Male die Zauberflöte an. Das Haus der Eltern war ein fruchtbarer Nährboden für diese Liebe zur Musik. Musik gehörte dort zum Alltag, sie wurde genossen, gesungen oder auf Instrumenten gespielt – vorwiegend Klassik. In der Musik habe sie sich schon immer wie ein Fisch im Wasser gefühlt, sagt Ruth Fiedler rück­blickend. Selbst im pubertierenden Alter, als Singen „uncool“ war, blieb sie dem Gesang treu. Am Sonntagmorgen in der Kirche Mozart zu singen, das war nicht angesagt. „Das Singen, das war immer ich“, sagt sie heute – und daran hat sich nichts geändert.

In einer Mozartarie ist die Stimme dann schon einmal zu einer sportlichen Höchst­leistung aufgerufen – vom C1 zum D3, über zwei Oktaven geht’s da hinauf.

Doch auch ein Koloratursopran fällt nicht vom Himmel. Mit 16 erhielt sie erstmals Gesangsunterricht – „damals noch bei unserem Kantor in Ostfriesland. In dieser Zeit sang ich viel Bach und Schubert, also gar nichts Koloratur-Spezifisches. Erst als ich mich nach dem Abitur ein Jahr lang auf die Aufnahmeprüfung an der Hochschule in Bremen vorbereitete und mich an der Pamina-Arie aus der Zauberflöte festbiss, merkte ich, wie beweglich meine Stimme ist, wie leicht mir die Höhen von der Hand gehen.“ Das mit den Läufen, mit den „Ver­zierungen“, den so genannten 16tel-Ketten, die so typisch für die Koloraturstimmen sind, das hat sich allerdings erst viel später ergeben.
So schwindelerregend präzise und doch so beseelt dieses Fach bedienen zu können, wie eine Ruth Fied­ler, das setzt viel Übung voraus. In einer Mozart­Arie beispielsweise ist die Stimme dann schon einmal zu einer sportlichen Höchstleistung aufgerufen – vom C1 zum D3, über zwei Oktaven geht’s da hin­auf. Die große Kunst ist es, das Koloratursingen wie einen entspannten Spaziergang im Frühling klingen zu lassen. Dies zu bewerkstelligen hat sowohl mit der Beschaffenheit der Stimmbänder zu tun als auch mit der nötigen Technik – und natürlich mit viel Erfahrung. „Wenn man in den hohen Stimmlagen singt, müssen gleichzeitig auch die Tiefen präsent bleiben, stimmlich darf der Boden nicht „wegfallen“, andernfalls wird die Stimme körperlos.“ Daneben könnte das Koloratursingen vielleicht sogar eine Typfrage sein, überlegt Ruth Fied­ler. Ein fröhliches, helles Gemüt passe ganz einfach eher zu diesem Gesang als eine schwermütige Natur. Sie selbst zumindest gehöre zur ersten Kategorie, sagt sie und schickt ihr sonniges Lächeln in den Raum.
Seit September 2013 ist die 33-Jährige als festes Ensemblemitglied am Theater Lüneburg beschäftigt. Als nächstes steht das Weihnachtskonzert mit den

In der nächsten Spielzeithälfte wird sie die „Carmina Burana“ singen und die Königin der Nacht aus Mozarts „Zauberflöte“.

„Arien für Aloysia Weber“ von Mozart auf dem Programm. Im Dezember dann heißt es „Koffer packen“, wenn es nach Amsterdam geht, wo sie im Concertgebouw in „Caligula“ mit Live-Übertragung ins Dutch Public Radio singt. Zum Atemholen zwischen­durch gibt es eine Schubert-Messe in der Kirche, bevor sie wieder zu den opulenteren Stücken wie der „Carmina Burana“ hinüberwechselt, die im März auf dem Lüneburger Spielplan steht. Kurz vor der großen Sommerpause dieser Spielzeit, Ende Juni 2014, wird sie in der „Zauberflöte“ die Königin der Nacht singen – noch so eine Paraderolle für einen Koloratursopran. Reizen würden sie einmal die Partien der Constanze aus Mozarts „Entführung aus dem Serail“ und die Figur der Zerbinetta aus „Ariad­ne auf Naxos“ von Richard Strauss. Doch eigentlich hat sie mit der Olympia aus „Hoffmanns Erzählungen“, der Wahnsinnsarie der Lucia und der Köni­gin der Nacht bereits alles in ihrem virtuosen Repertoire, womit sich ein weiblicher Koloratur­sopran so profilieren kann.
Wird sie zumindest die Weihnachtszeit zu Hause in Köln genießen können? Weniger – am 21., 25. und 26.12. stehe sie ja in Lüneburg auf der Bühne. Doch wird sie ihren Lebenspartner mit in die Salzstadt bringen und anschließend weiter nach Schwerin zu den Eltern fahren. Sagt’s und verabschiedet sich, um ihren Zug zurück in ihre Wahl­heimat Köln zu erreichen. So ist es eben, das unstete Leben einer Künstlerin.(nm)