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Semana Santa

geschrieben von Ed Minhoff im April 2011

ANDALUSIENS HEILIGE WOCHE VON PALMSONNTAG BIS OSTERSONNTAG

Erst ist es das rhythmische Schlagen der Trommeln in der Ferne, das langsam an Kraft und Lautstärke zunimmt. Dann gesellen sich schreiend, quäkend die Blasinstrumente mit ihrer Disharmonie hinzu. Schauer rieseln den Rücken hinunter, die sich schließlich in einer kaum enden wollenden Gänsehaut manifestieren, wenn der lange Prozessionszug an einem vorüberzieht. In der Dunkelheit wirken die Bruderschaften mit ihren hohen Spitzhauben gespenstisch, mit ihnen schweben die Altäre schwankend von ihren Büßern getragen durch die Straßen: Es ist Palmsonntag – in Andalusien beginnt die Semana Santa, die Heilige Woche. Die weltweit bekannten Osterprozessionen ergreifen Gläubige, Zuschauer und Teilnehmer, lassen niemanden unberührt. Die ersten Laienbruderschaften, die Cofradías, die zur Semana Santa aufriefen, wurden in der Mitte des 15. Jahrhunderts gegründet. Die Cofradías Santa Vera Cruz und Sangre de Nuestro Senor Jesucristo, die sich in Andalusien bildeten und sich über das Land ausbreiteten, erwuchsen meist aus der Mittel- und Unterschicht. Nicht als verlängerter Arm der Kirche wollten sie verstanden werden und hatten deshalb oft große Not, dass ihre zur Schau getragene Buße und Frömmigkeit von den Kirchen oberhäuptern akzeptiert wurde. Nach zahlreichen Rückschlägen, die bis in das 20. Jahrhundert anhielten, erfreuen sich die Cofradías seit der Regierung von Felipe González großer Beliebtheit. Ihm gelang es, eine gegenseitige Akzeptanz zwischen Kirche und Bruderschaft zu festigen.

Zu den größten und berühmtesten Prozessionen zählen sicherlich jene in Sevilla, Málaga, Cordoba, Granada und Jeréz de la Frontera. Mit der Karwoche am Palmsonntag beginnen sie meist in den Abendstunden und enden oft erst am frühen Morgen. Da jede Bruderschaft ihre eigene Prozession abhält, fi nden in der Zeit bis Ostersonntag in Málaga bis zu 60 Umzüge statt. DIE PROZESSION Die Strecke, die die Büßer zurücklegen, ist für alle Bruderschaften in ihrer Heimatstadt gleich. In Granada beispielsweise verläuft diese von der Kirche über den Rathausplatz zur Kathedrale, durch das Hauptportal in die Kathedrale hinein bis vor den Altar und dann zum Seiteneingang, der Puerta del Perdón (Tür der Vergebung), wieder hinaus und zurück zur Ausgangskirche. Wichtiger Bestandteil der Prozession sind die Pasos, tischförmige Altäre mit Holzfi guren, die der damals analphabetischen Bevölkerung die Leidensgeschichte Jesu näher bringen sollten. Der größter Altar ist immer der der Jungfrau Maria, der geschmückt ist von einer Marienfi gur in kostbaren Gewändern, unzähligen Kerzen und dem typischen Baldachin. Die Pasos, die bei den Prozessionen vin den Mitgliedern durch die Straßen getragen werden, verkörpern den ganzen Stolz einer Bruderschaft. Castaleores heißen wiederum die Träger der Throne oder Altäre, die sich meist unter der Konstruktion befi nden. Die Kommandos für die Träger der oft tonnenschweren Gebilde erteilt der oberste Laienbruder, der das Absetzen und Anheben, sowie das Tempo durch Glockenschläge angibt. Durch den Gleichschritt der Träger schwanken die Throne leicht hin und her – ein besonders typisches Bild bei diesen Prozessionen. In Málaga sind die Throne besonders mächtig und müssen von bis zu 250 Hombres de trono getragen werden. Hier zählt die Prozession der Fremdenlegionäre zu den Höhepunkten der Karwoche. Im Gleichschritt und mit dem Blick starr zum Himmel gerichtet marschieren 200 Männer in olivfarbenen Uniformen und mit geschultertem Gewehr durch die Straßen der Stadt. Sie tragen den Thron mit der Christusfi gur der Bruderschaft Congregación de Mena. Manch einer mag sich über die Verbindung zwischen Militär und Religion wundern, doch wer dieser Prozession einmal beigewohnt hat und sah, mit welcher Andacht und Gottesfurcht die Soldaten marschierten, ändert schnell seine Meinung. Zur Tradition gehört übrigens auch, dass an diesem Tag ein Gefangener aus dem nahe gelegenen Gefängnis entlassen wird. Seinen Ursprung hat dieser Brauch im Mittelalter. Als die Pest wütete, hatte man nicht genug Träger. Die Gefängnisinsassen halfen aus und wurden begnadigt.

Die Büßer der einzelnen Bruderschaften sind die Nazarenos, meist Männer, die jeweils vor oder hinter den pasos schreiten. Frauen werden erst seit einigen Jahren als Büßer geduldet. Die Nazarenos sind auffällig gekleidet und erinnern mit ihren spitzen Hüten und langen Kutten, die ihre Anonymität wahren sollen, an den Ku-Klux-Klan. Der Großteil trägt keine Schuhe, barfuss wird der Büßerweg abgeschritten. Generell unterscheidet man fünf verschiedene Typen: Nazareno de luz – der Träger des Altarkreuzes, Nazareno con cruz – Träger eines großen Holzkreuzes, den man an seiner flache Kappe erkennt, den Nazareno portador de atributos – Träger von Symbolen der Bruderschaft, Nazareno de fi la und die Manigueteros — sie stehen an allen vier Ecken der Throne. Sämtliche Bruderschaften unterscheiden sich durch die Farbe ihrer Kleidung und die gestickten Embleme.

Die Musik

Die Musik hat sich aus Trauermärschen des 19. Jahrhunderts entwickelt, darunter Werke von Beethoven und Chopin. Sie werden von Blasmusikern und Trommlern in abgewandelter Form interpretiert. Charakteristisch sind die tragenden Elemente. Meist werden die Prozessionen von Bittgesängen unterbrochen; diese Saetas werden a capella von besonders qualifi zierten Sängern vorgetragen und schildern den Leidensweg Jesu oder geben das persönliche Klagelied des Sängers wieder. Ein wenig mag der Gesang an die arabische Welt erinnern und wird als eine Gattung des Flamenco-Gesanges bezeichnet. Miguel Ángel Fernándes aus Vélez Málaga ist einer von ihnen und war auch schon in Lüneburg in St. Michaelis zu hören. Ob in den großen Städten oder in den kleinen andalusischen Bergdörfern, jede Prozession hat ihren eigenen Charakter und zieht nicht ohne Grund Gläubige und nichtreligiöse Menschen Jahr für Jahr in ihren Bann. Abseits der Prozessionen in den umliegenden Bars und Restaurants wird ausgiebig gefeiert und gut gegessen. Wer also die Osterzeit in Andalusien verbringt, sollte es sich nicht nehmen lassen, an einem dieser faszinierenden Feste teilzunehmen. (ed)

FOTOS: © INSTITUT FÜR TOURISMUS IN SPANIEN (TURESPAÑA)