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Stadt-Raum-Kunst

geschrieben von Natascha Mester im September 2011

Im Gespräch mit Björn Lindner, Graffitikünstler und Inhaber der Lüneburger Agentur „Lackspuren Design“

Mit der Eröffnung seiner Ausstellung im Café Mondmann ging eine regelrechte Welle des allgemeinen Interesses durch die hiesige Medienlandschaft – obwohl Björn Lindner alias „Jayn“ es vorzieht, eher hinter den Kulissen zu wirken. Umso präsenter sind hingegen seine Bilder — an Mauern und Hausfassaden und längst nicht nur in Lüneburg. Angefangen hat es 1994, zu einer Zeit, als Graffiti noch das Stigma der illegalen Zerstörungswut anhaftete und die Nennung des Begriffes „Kunst“ in dieser Verbindung undenkbar war. Gezeichnet habe er schon immer, doch wollte irgendwann das kleine Format nicht mehr reichen, der Stift strebte über die Ränder der Papierbögen hinaus; Graffiti war für ihn das Medium, um sich am großen Format zu versuchen – eine Kunst auf Distanz, die erst dann ihre volle Kraft entfaltet, wenn das Betrachterauge auf Abstand geht.

Immer mehr ist in den vergangenen Jahren diese Kunstform aus ihrem Nischendasein hervorgetreten, noch nicht ganz hat sie sich als eine solche etabliert. Dabei gaben bereits in der Antike erste Zeichen und Schriften an Wänden Auskunft über Bedürfnisse, Meinungen und Interessen der Menschen. „Natürlich gibt es da vieles, das nicht im Mindesten als Kunst durchgeht, doch muss der Nachwuchs ja üben können – wie sollen sie sonst gut werden?“, fragt Lindner. Allmählich bricht dieses Klischee auf, Auftragsarbeiten und zur Verfügung gestellte Flächen laden zum legalen Malen ein. Aber ist das legale Sprühen nicht eine Verballhornung der Ursprungskultur, die Illegalität ein Teil von ihr? Er selbst, sagt „Jayn“, gehörte nie zu den Sprayern, denen es „nur“ darum ging, an öffentlichen Orten ihre visuelle „Duftmarke“ zu hinterlassen. Seine Triebfeder war es, seine Figuren auf ein überdimensionales Maß zu bringen.“ Er studierte Kommunikationsdesign in Hamburg, rief seine eigene, erfolgreiche Werbeagentur mit dem bezeichnenden Namen „Lackspuren Design“ ins Leben, mit der er heute Kunden wie Red Bull oder auch die Merchandise-Abteilung von Cindy aus Marzahn betreut. Graffiti ist bis heute ein Hobby geblieben, das war ihm wichtig – das Malen fegt den Kopf frei von festgefahrenen Gedanken.

Die Weiterentwicklung, erklärt der Lüneburger, geschehe mit dem Tun. Wer zuhause nicht viel zeichnet, wird auch an der Wand seine Schwierigkeiten haben. Ebenso die Technik, das Wissen um die Beschaffenheit Farben, die kleinen Tricks — all dies ist etwas, das sich während des Malens verbessert. So heißt noch heute ein Sprühaufsatz „Betrix“, weil frühe Künstler erkannten, dass sich der des Parfümflacons der Marke Ellen Betrix besonders gut zum Malen eignete.

Lüneburgs Szene ist nicht groß, doch existiert sie. Und auch Nachwuchs ist vorhanden und sorgt für eine beständige Präsenz. Ohne Jens Flechtner alias „Trica186“, der diese Kunstform seit mehr als 25 Jahren „lebt“, wäre Graffiti in Lüneburg nicht so präsent wie es heute ist. Man kennt sich, arbeitet im Verbund zusammen, gerade bei großen Wänden, die einer allein nicht zu bewerkstelligen vermag. Zunehmend wird Graffiti heute zur Konzeptkunst, das wahllose Drauflossprühen auf freie Flächen weicht einem durchdachten Bildaufbau. Was dabei möglich ist, zeigte im Jahr 2009 das „Urban Art“ Projekt der Leuphana, das dank international angereister Graffitikünstler für einen kurzen Zeitraum die Stadt in eine beeindruckende Freiluftgalerie verwandelte.

Björn Lindners übergroße Formate an Fassaden entstehen tatsächlich frei – auch dies eine Sache der Übung. Das Motiv wird zunächst im handlichen Format gezeichnet, lediglich grobe Eckpunkte bieten später auf der Wandfläche eine Orientierung. Das Malen von Tierporträts bezeichnet er übrigens als eine ganz logische Entscheidung: Bei dem Zeichnen von menschlichen Gesichtern habe er längst nicht so viele Variationsmöglichkeiten. Viel offensiver sei der mimische Ausdruck von Tieren; Fell, Federn, Haut – auch die Oberflächentexturen bieten immer wieder einen neuen Anreiz. Gemalt wird gestern wie heute mit Lackfarben. Filigrane Linienführung mit der Spraydose? „Geht“, bestätigt der Künstler, durch feinstes „cutten“ beispielsweise, indem man durch eine neue Farbschicht einen bereits gesetzten Strich halbiert.

Seine fotorealistischen Darstellungen sind beachtlich, doch hat er nur selten so viele bemalte Leinwände beisammen, um mit ihnen eine Ausstellung füllen zu können – meist werden sie gekauft, noch bevor sie das Licht außerhalb seines Ateliers erblickten. Extrem kritisch geht er mit seinen Bildern ins Gericht, ist selten zufrieden und schätzt eine ehrliche Kritik mehr als Lobhudeleien. Auf Anfrage bemalt er handliche Leinwände, auch die ein oder andere Wand, doch gibt es mittlerweile Wartelisten. Seine Kunden warten gern, wohl wissend, dass das, was aus Lindners Feder – pardon: Dose – fließt, ein echter Eyecatcher sein wird. Viele Tobeländer in ganz Deutschland schmücken seine Arbeiten, eine Wand im Autohaus B&K, eine in der Kantine der „Rote Rosen Studios“, den Druchgang zwisch Salü und Seminaris oder auch die Fassaden vom Croque Drive oder Cinestar.

Vieles wechselt. Die Urheber selbst wissen häufig nicht, ob ihre Bilder noch existieren. Allein ein Foto des fertigen Werkes ist Relikt ihrer vergänglichen Kunst.

Was viele Galerien nicht schaffen, Graffiti vermag es: Aufmerksamkeit zu erregen, Kunst jedem zugänglich zu machen und die Möglichkeit zu bieten, sich mit ihr auseinander zu setzen. Schwellenangst vor Kunst löst sich im urbanen Raum auf. Vom Guten gerne mehr!(nm)

Portfolio & Kontakt: www.lackspuren.de

Fotos: Peter Eichelmann