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Teufelsbräute

geschrieben von Irene Lange im Juni 2017

Hexenglaube, Hexenverfolgung und Hexenwahn im Raum Lüneburg

Kaum zu glauben, da musste sich Lüneburgs Staatsanwaltschaft noch Anfang der 1950er-
Jahre mit dem Fall eines gemeingefährlichen Hexenwahns beschäftigen. Bauer Hannes Bading aus Barum hatte jüngst seine Nachbarn beschuldigt, ihm als Hexen und Hexeriche übel mitzuspielen. Er habe, so seine mit Nachdruck hervorgebrachte Aussage, die Nachbarjungen beim „Gift-
pusten“ aus deren Aborthäuschen heraus beobachtet, so dass eine blaue, nach Salmiak riechen­de Wolke in sein Schlafzimmer drang, die ihn zum Husten brachte. Auch der Posthalter gehörte nach Auffassung von Bauern Bading zum Hexenvolk. Der wiederum habe seinem Vieh „etwas ins Maul gespritzt“. Der herbeigerufene Tierarzt stellte lediglich eine Kolik bei dem erkrankten Pferd fest. Seitens des Bauern kam es schließlich zum Gewaltausbruch gegen den verdächtigen Nachbarn, indem er diesem eine Schaufel auf den Schädel schlug, worauf die ganze Sache vor Gericht landete. Bevor sich Lüneburgs Staatsanwalt Gürttler des Falls annahm, war er geneigt, den „Fall Bading“ als Bagatelle abzutun. Dann aber kam es zu einem der letzten großen Hexenprozesse in Lüneburg, man schrieb das Jahr 1951. Im Juni 1950 stand Martha Illhardt, 33, die so genannte „Wahrsagerin von Bienenbüttel“, vor dem Richter. Sie hatte einer Mutter gesagt, deren Kind sei verhext. Anschließend schickte sie die verängstigte Mutter zu einer Frau, die im Besitz des „Satansbuches“ sei und das Kind gegen Geld heilen könne.
Zwar landete niemand mehr auf dem Scheiterhaufen, dennoch gab es Anfang der 1950er-Jahre noch 15 Hexenprozesse in Lüneburg. Vor den Schranken des Gerichts standen nach wie vor Menschen, in deren Köpfen das Mittelalter mit all seinem Aberglauben weiterhin existierte.
Die Hexenverfolgung zählt zu den düstersten Ka­pitel deutscher Geschichte. Im 17. Jahrhundert hatte sie ihren Höhepunkt erreicht. Rund 80.000 unschuldige Menschen — zumeist Frauen, aber auch viele Männer — fielen dem Hexenwahn zum Opfer. Mit grausamster Folter wurden Geständnisse er­zwungen. Niemand war davor sicher, von seinem Nachbarn oder sogar Familienmitgliedern der Hexerei oder Zauberei bezichtigt zu werden. Naturkatas­trophen, Hungersnöte, Krankheiten und Seuchen – in den Hexen fand man die Auslöser.

­Besonders fanatisch betrieb Herzogin Dorothea von Lüneburg und Celle (1546–1617) die Hexenverfolgung.

Nicht immer war es die Kirche, die das Hexenwesen unbarmherzig verfolgte, tatsächlich lehnte die Inquisition die Hexenverfolgung vor dem 15. Jahrhundert ab. Statt dessen waren es die staatlichen Gerichte, die den Hexenwahn schürten. Unter der Herrschaft des Papstes Innozenz VIII. und dessen sogenannter Hexenbulle erreichte die Hexenverfolgung jedoch – nun dank der offiziellen Billigung der römisch-­katholischen Kirche – eine neue Dimension. Zur Eskalation trug der Dominikaner Heinrich Kramer mit seinem „Hexenhammer“ (Malleus Male­ficarum) bei, den er 1486 veröffentlichte. In diesem wird eine systematische Verfolgung und Vernichtung der vermeintlichen Hexen gefordert und zudem die empfohlenen Foltermethoden detailreich beschrieben. Im „Hexenhammer“ zeigt sich eine uneingeschränkte Frauenfeindlichkeit – die Frauen waren es schließlich, die für die schwarze Magie anfällig waren, nicht etwa die Männer. Sie seien ein „Übel der Natur“, hätten Defizite im Glauben, zudem wurde ­ihnen eine sexuelle Unersättlichkeit unterstellt. Aus diesem Grund bevorzugten sie auch intimen Kontakt mit Dämonen und dem Teufel.
Auch das damalige Herzogtum Lüneburg blieb nicht von den Hexenverfolgungen verschont. Die Scheiterhaufen brannten noch nach der Reformation, denn man glaubte, dass nur das Feuer reinigend auf die verderbte Seele einwirken könne. Besonders fanatisch betrieb Herzogin Dorothea von Lüne­burg und Celle (1546–1617) die Hexenver­folgung. Sie residierte Anfang des 17. Jahrhunderts im Schloss zu Winsen. Zwischen 1611 und 1614 wurde auf ihre Veranlassung hin 30 Frauen der Prozess gemacht, 26 „Hexen“ und ein „Zauberer“ wurden öffentlich auf dem „Luhdorfer Tore“ verbrannt, eine starb unter der Folter. Die Herzogin soll dem „Schauspiel“ vom Fenster aus zugesehen haben. Auch ihre Verwandte, die Herzogin-Witwe Hedwig in Harburg, ließ mehrere vermeintliche Hexen in Moisburg verbrennen.
Beispielhaft für das Schicksal vieler Frauen, die Opfer des Hexenwahns wurden, steht Barbara Stehr aus Amelinghausen.

Der Kantor Heinrich Schulz verfasste einen Bericht im „Lüneburger Kreiska­lender“, nach welchem sich die junge Frau nach grausamen Folterungen, u. a. durch Beinschrauben, schuldig bekannte, das Vieh der Nachbarn ver­hext, Hafer auf dem Halm verdorben und ein Kind um­gebracht zu haben. Auch schilderte sie den Umgang mit dem Bösen. „Das sei ein ‚Jungkerl‘ gewesen mit rotem Bart und linkem Hundefuß. Zudem sei sie in des Teufels Namen durch die Lüfte zum Blocksberg geritten.“ Das Protokoll der Vernehmung umfasst 37 Punkte, die zwar säuberlich zusammengestellt, aber doch recht wirr klingen, was nach der unmenschlichen Quälerei durch die Folter naheliegend ist. Nur selten widerstanden die Delinquenten, die Folter machte so gut wie jeden geständig. Zudem fällt auf, dass die Beschuldigten meist aus einfachen Schichten oder aus ländlichen Gegenden stammten. Es mag sein, dass häufig wirtschaftliche Schwierigkeiten eine Rolle spielten oder auch Neid und Hass stärker als in der Stadt vertreten waren. Falls Ver­mögen vorhanden war, wurde es eingezogen, Angehörigen hatten darüber hinaus die „Material­kosten“ für die Hinrichtung zu entrichten.
Der Hexenwahn wütete auch in Hitzacker. Unter der Regentschaft von Herzog August zu Braunschweig-­Lüneburg (1579–1666) wurden zwischen 1610 und 1623 rund 70 Personen der Hexerei und Zauberei beschuldigt und verbrannt. Später wurden die Scharfrichter verdächtigt, bei der so genannten „Wasserprobe“ betrogen zu haben, um das Honorar einzustreichen — sicher kein Einzelfall! Den Überlieferungen nach investierte der Herzog von Wolfenbüttel das beschlagnahmte Vermögen der Verurteilten, um den Grundstein zu seiner berühmten Bibliothek zu legen.(ilg)

Fotos: wikimedia/Public domain


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