„Ohne Tommy geht gar nichts!“
geschrieben von Irene Lange im Februar 2015Vertrauter auf vier Pfoten: Der Blindenführhund Tommy hilft Auren Charo, trotz ihrer Sehbehinderung neue Freiräume im Alltag zu erobern

Wenn sich beim Anruf an der Leuphana Universität eine freundliche und frohgelaunte Stimme mit Namen meldet, so ist häufig Auren Charo am anderen Ende der Leitung. Seit vier Monaten ist sie an ihrem Arbeitsplatz in der Telefonzentrale nicht mehr allein. Sie hat einen „ständigen Begleiter“ – den Blindenführhund Tommy, ein schwarzer Labrador-Rüde.
Seit ihrer Geburt leidet die geborene Lüneburgerin an einer erblichen Augenkrankheit, der juvenilen Makula-Degeneration. Zurzeit ihrer Kindheit – sie ist Jahrgang 1963 – war dieses Krankheitsbild wenig erforscht und blieb im Kleinkindalter zunächst unbemerkt. Lediglich einer Tante fiel auf: „Das Kind sitzt zu dicht am Fernseher“. Erst als Auren acht Jahre alt war und bereits eine Odyssee von Augenarzt zu Augenarzt absolviert hatte, konnte an der Uniklinik Eppendorf endlich die Diagnose gestellt werden. In der Hauptschule wurde damals auf ihre Sehbehinderung wenig Rücksicht genommen. „Lediglich drei liebe Freundinnen haben mir ständig alles vorgelesen, was an der Tafel stand“, erzählt sie. Mit 13 Jahren schickten ihre Eltern sie dann nach Hamburg auf die Blinden- und Sehbehindertenschule, wo sie auch die Blindenschrift Braille lernte, wie auch den Umgang mit diversen Hilfsmitteln für Sehbehinderte. Nach einem Handelsschulabschluss ließ sie sich in Düren beim Berufsförderungswerk zur medizinischen Bademeisterin und Masseurin ausbilden. Zudem absolvierte sie ein eineinhalbjähriges Praktikum in beiden Fachrichtungen in Lüneburger Krankenhäusern, bevor sie eine Stelle bei einem Orthopäden antrat. Ab 1989 musste sie jedoch aus Krankheitsgründen umschulen und ließ sich in Würzburg zur Telefonistin ausbilden, wobei sie auch ihre Kenntnisse in der Blindenschrift vertiefte. Bevor sie ab 1995 an der Leuphana Universität ihre Arbeit aufnahm, war sie einige Jahre in Uelzen bei der Stadtverwaltung tätig.
Damals hatte sie noch keinen vierbeinigen Begleiter, wünschte sich jedoch schon seit Jahren einen Blindenführhund. Bevor Tommy in ihr Leben trat, musste sie sich mit dem Blindenstock begnügen und verletzte sich bei mehreren schweren Stürzen.
Wichtig sei im wahrsten Sinne des Wortes das blinde Vertrauen, das zwischen Mensch und Tier aufgebaut werden muss.
Nach zähem, über sechs Jahre langem Ringen mit der Krankenkasse um die Kostenübernahme wurde ihr der Hund endlich genehmigt. „Vor vier Monaten kam mein Tommy, und heute geht ohne ihn nichts mehr“. Diese Aussage kommt aus vollem Herzen. Seither habe sie ganz neue Freiheiten gewonnen.
Zwei Jahre ist Tommy jetzt alt und hat eine neunmonatige Intensivausbildung bei einer Thüringer Blindenführhund-Schule hinter sich. Bislang hört er auf 30 Kommandos, die er gern und willig ausführt. Sogar Gegenstände hebt er schon auf. „Seine Erziehung ist sanft und mit viel Liebe geschehen“, berichtet Auren Charo. Leider gäbe es bei der Ausbildung von Blindenführ- und Assistenzhunden große Unterschiede, denn der Berufsstand ist bisher nicht geschützt. So seien unter den angeblich erfahrenen Ausbildern einige „schwarze Schafe“, warnt auch Bert Bohla vom Verein „Lichtblicke e.V.“ Das wundert nicht, werden doch für einen ausgebildeten Blindenführhund immerhin bis zu 25.000 Euro gezahlt.
Wie bei Auren Charo ist es bis zur Bewilligung der Kostenübernahme durch die Krankenkasse häufig ein langer und aufreibender Weg. Zunächst geht es um die Frage, ob ein Führhund überhaupt das geeignete Hilfsmittel sein kann. Schließlich soll er einem blinden oder schwer sehbehinderten Menschen jederzeit eine gefahrlose Orientierung bieten. Wie die Ausbildung eines Führhundes einerseits Einfühlungsvermögen und Sachkenntnis verlangen, so ist andererseits nicht jeder Hund für diese Aufgabe geeignet, wobei allerdings die Rasse keine Rolle spielt; allerdings kommen stressanfällige und zur Aggressivität neigende Tiere grundsätzlich nicht in Frage. Körperlich sollte der Hund kerngesund sein und in seiner Größe zum Halter passen. Da erfüllen häufig Labrador und Retriever einerseits die körperlichen und auch die charakterlichen Anforderungen, aber auch andere Rassen wie Schäferhunde, Collies, Australien Shepherd, Airedaleterrier, Großpudel oder Riesenschnauzer. Diese Hunde sind überaus wesensfest, aufmerksam, friedfertig und verträglich. Zudem muss natürlich der Halter sachkundig sein und Hunde mögen. Knappe und harsche Kommandos sind da völlig fehl am Platz. Es genügt ein einfaches und ruhiges Kommando wie beispielsweise „Such Weg“ oder Ähnliches.
Leider gibt es bei der Ausbildung von Blindenführ- und Assistenzhunden große Unterschiede, denn der Berufsstand ist bisher nicht geschützt.
Alle diese Voraussetzungen erfüllt Tommy, der auf das Leben mit seinem neuen Frauchen gründlich vorbereitet wurde. Aber auch Auren Charo ist für den Umgang mit ihm geschult und lernt – wie auch ihr neuer Begleiter – Tag für Tag dazu. Wichtig sei im wahrsten Sinne des Wortes das blinde Vertrauen, das zwischen Mensch und Tier aufgebaut werden muss. Tommy sei von Anfang an sehr anhänglich gewesen. „Da wollte er gar nicht von mir weg“. Mittlerweile entfernt er sich schon, wenn er ohne Geschirr frei laufen darf, um sich zu lösen, zu toben, eben einfach Hund zu sein. Doch wenn er gerufen wird, ist er sofort zur Stelle. Mit dem Anlegen seines „Arbeits-Outfits“, des dafür vorgesehenen Führgeschirrs, verwandelt er sich sofort in den verantwortungsbewussten Begleiter. Dann ist er im Dienst und muss sich konzentrieren, so auch beim Überqueren einer Straße oder beim Umgehen von Hindernissen. Dabei sollte er nicht abgelenkt, gestreichelt oder gefüttert werden, was seine Halterin leider immer wieder erlebt. Allerdings ist Tommy ein sehr ausgeglichener Hund, der sich selbst durch laute ungewohnte Geräusche wie Silvesterfeuerwerk oder Gewitter nicht aus der Ruhe bringen lässt.
Den täglichen Weg von fünfeinhalb Kilometern vom Wohnort Reppenstedt zur Universität und zurück legt Auren Charo nun mit ihrem vierbeinigen Begleiter zurück, für sie selbst und den Hund ein gutes Bewegungstraining. Tommy verschafft ihr außerhalb der vier Wände nicht nur Bewegungsfreiheit, sondern auch ein großes Stück zusätzliche Sicherheit. Trotz ihrer angeborenen Sehbehinderung führt Auren Charo ein weitgehend autarkes Leben, das nun durch ihren Tommy eine wertvolle Bereicherung erfahren hat.(ilg)
Fotos: Enno Friedrich
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