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Gespieltes Understatement

geschrieben von André Pluskwa im März 2012

Frederik Junge versinnbildlicht im Bergström die alte Tradition des Bar-Pianisten

Wer zum frühen Abend die Bar des Bergström-Hotels besucht, um vielleicht einen kleinen Drink auf den gelungenen Geschäftsabschluss zu nehmen oder um sich dort mit seiner Liebsten zu treffen, wird, ohne dass es einem dabei so recht ins Bewusstsein dringt, von einer ganz eigenen Atmosphäre eingefangen, die durch die dortige Musik entsteht und die dafür sorgt, dass das, was man so sagt und tut, auf wundersame Weise etwas bedeutungsvoller erscheint. Zu verdanken haben Sie dieses besondere Flair dem Bar-Pianisten — immer von montags bis mittwochs ist dies Frederik Junge, dem die musikalische ­Leitung des Hotels obliegt und der in seinem anderen Leben neben seinen Aktivitäten als Komponist und Sessionmusiker als einer der Protagonisten der nicht ganz unbekannten Formation „Funkhaus“ (Gewinner Deutscher Rock und Poppreis, u. a. Vorband der Jazzkantine und der Soulounge mit Roger Cicero) fungiert. Ein Leben in Musik — in vielerlei Hinsicht.

Hier, im Bergström, spielt er im ungemein kleidsamen Retro-Anzug mit schmalem Schlips. Unaufdringlich und der Situation angepasst verfeinert er den Moment mit seinen Arrangements, eine fließen­de Melange aus Klassikern, Lounge, Jazz, Rhythm & Blues, entsprechend bearbeiteten neuen Stücken und einigen freien Läufen über das Instrument – Musik, die nie zum Selbstzweck wird, sondern sich mit Feingefühl zurückhält, das Understatement einer musikalischen Dienstleistung atmet, die dazu da ist, dem Alltäglichen das Besondere zu entlocken; eine Kunstform, die auf eine schillernde Tradition verweisen kann.

Der Bar-Pianist ist ein moderner Mythos, vielleicht 200 Jahre alt, ein lebendig gebliebenes Artefakt, um das sich Legenden und Geschichten ranken, Bilder, die schon lange in das kollektive Unter­bewusste unserer Kultur eingedrungen sind – ob dunkle Bars als Endstationen im Glitzerland der zerbrochenen Träume, wie sie beispielsweise ein Raymond Chandler oder James Ellroy beschrieb, ob die in nicht minder mythischen Orten wie St. Louis oder New Orleans gelegenen, nobel-anrüchigen Etablissements, in denen sich die oberen und unteren Zehntausend neben zahllosen Glücksjägern, Gaunern und Lebenskünstlern ihren Vergnügungen und Hoffnungen hingaben. Damals begann man, diesen Künstlern ihre Hautfarbe nachzusehen.

Der Bar-Pianist ist ein moderner Mythos, ein lebendig gebliebenes Artefakt.

Zu guter Letzt die weitaus raueren Bordelle und Saloons des „Wilden Westens“, in denen der Bar-Pianist der erste musisch orientierte Künstlertypus war, den die alkoholgeschwängerte, testosterongeleitete Welt der Cowboys, Pelzhändler und Goldsucher respektierte.

Ob im Berlin oder Hollywood der Goldenen Zwanziger, ob die gepflegten Exzesse des Brat Packs um Sinatra, Dean Martin, Sammy Davis Jr. & Co in den 50er und 60er Jahren, oder ob die in Krisen- und Friedenszeiten stets frequentierten internationalen Grand Hotels, in denen Agenten, Spione, Botschafter und Ambassadore um die Zukunft der Welt buhlten: Der Bar-Pianist war — und ist – immer dabei, quasi unsichtbar hinter dem Flügel ist er vom Unter­maler zum Beobachter und damit Wissenden geworden, begleitet Schicksale und untermalt existenzielle Momente, wirkt mit, wenn Lieben ent­stehen und spielt weiter, wenn sie vergehen, ja, nimmt mitunter sogar etwas Einfluss und lenkt die Züge seiner Welt mit ein paar Akkorden, die, im richtigen Moment in den Raum geschickt, über Atmosphäre und Stimmung und alles, was daraus entsteht, entscheidend sein können.

Vorm Pianisten lassen sie alle die Masken fallen wie sonst nur gegenüber dem Barmann, dem Portier, dem Taxifahrer und der oder dem Geliebten. So spielt der Pianist als stiller Mitwisser, der mit seinem Soundtrack des Lebens von der vielfältigen Klaviatur der Existenz Zeugnis abzulegen vermag, eine nicht ganz unbedeutende Rolle. Übrigens: Der berühmteste seiner Zunft dürfte in dieser Hinsicht wohl ein gewisser Sam gewesen sein, der für Humphrey Bogart und Ingrid Bergman in „Casa­blanca“ spielte — und in dessen Klavier die geheimen Dokumente versteckt waren.
Allerdings sind die obigen Ausführungen, Sie ahnen es vielleicht bereits, eher den Romantizismen und Verklärungen, dem Wunschdenken und dem Klischee zuzuordnen. Der Bar-Pianist von heute lebt in einer moderateren Welt, die mit etwas weniger schillernder Kraft ausgestattet ist, des Menschen Abenteuer finden inzwischen anderswo statt. Ein Traumjob bleibt es trotzdem. Denn es erwacht etwas in uns, wenn Frederik Junge mit seiner Arbeit beginnt, etwas, das sich aus all dem speist, was wir an Vorstellungskraft mitbringen, die wiederum nur von der Musik geweckt werden muss. Und darin liegt die wahre Kunstfertigkeit dieses jungen Mannes, der wie eine Romanfigur erscheint, wie aus einem guten Film — ein Gentleman, dessen Lächeln zwar echt ist, aber eben auch so professionell wie es eben sein muss bei einem wirklich guten Entertainer, der sein Handwerk versteht. Und so verbieten sich alle Indiskretionen bezüglich seines Privaten, seines Werdegangs, seines Biografischen, so wie es sich bei einem Zauberer verbietet, nach der Auflösung seiner Tricks zu fragen. Man lasse sie einfach nur machen und wirken.

Wer mehr erfahren möchte, suche das Bergström gerne selber auf und spreche Frederik Junge, der montags bis mittwochs ab 17 Uhr spielt, an. Einladungen, auf anderen Festivitäten seine Kunst einzusetzen, werden gerne entgegengenommen.(ap)

Foto: Enno Friedrich