Leidenschaft für Lüneburg
geschrieben von Cristiane Bleumer im September 2011Verena Fiedler: Stadtführerin und Gewandmeisterin mit Witz und Engagement

Es sind wahrlich interessante Persönlichkeiten, die in den Abendstunden die Lüneburger Altstadt bevölkern. Wer hier wohnt, kann neben Bürgermeistergattinen, Stadtwächtern oder Klosterbrüdern auch immer wieder einem Nachtwächter und seiner Frau begegnen, die in der Innenstadt unterwegs sind. Meist haben sie eine Gefolgschaft von Touristen bei sich, die wissbegierig ihren Worten lauschen. Dann erschallt fröhliches Gelächter in der sonst so ruhigen Wohngegend, denn wenn der Nachtwächter und seine Angetraute Marie ihren abendlichen Rundgang machen, unterhält das ungleiche Paar mit zahlreichen Anekdoten und Erzählungen aus ihrem ganz speziellen Alltag. Dabei kommen auch private Details nicht zu kurz, so dass die Lüneburger und Gäste der Stadt bald bestens im Bilde sind über die Trunksucht von Maries erstem Mann und andere Intimitäten, die Marie preisgibt. Wenn man die Stadtführerin Verena Fiedler bei einer solchen Führung erlebt, ist man fast geneigt, alles, was dort erzählt wird, für bare Münze zu nehmen, so überzeugend verkörpern sie und ihr männlicher Partner ihre Rollen.
Seit elf Jahren begleitet die temperamentvolle Frau Besucher durch die Stadt und sie erfüllt diese Aufgabe „mit Leib und Seele“. „Der Erfolg ist an der Reaktion der Gäste sofort leibhaftig spürbar“, charakterisiert Verena Fiedler das Besondere ihres Berufs. Sie zeige Menschen die Stadt, die ihr am Herzen liege und in der sie geboren sei. „Das hier ist meine Heimat“, unterstreicht sie; und darum kann sie auch gar nicht genug über Lüneburg wissen und weitergeben. Drei riesige Bücherregale stehen zuhause bei ihr im Stadtteil Moorfeld: Werke zum Mittelalter im Allgemeinen, Bücher zu den Themen Klosterleben, Renaissance und Reformation oder auch Informationen zur Geschichte Lüneburgs gehören zur umfangreichen Bibliothek der Familie Fiedler. Zusätzlich nimmt sich Verena Fiedler Zeit für die Lektüre von Bänden aus der Ratsbücherei oder auch Schriften des Stadtarchivs; denn, und das ist ihr ganz wichtig, „alles, was wir Stadtführer erzählen, fußt auf historischen Fakten.“ Zwar werde vieles den Gästen mit einem Augenzwinkern berichtet, aber „wir sind nie albern, nur unterhaltsam“.
Verena Fiedler schlüpft in die verschiedensten Rollen, die sie alle selbst konzipiert und ausgearbeitet hat. Man kann sie daher nicht nur als Nachtwächterfrau Marie erleben, sondern ebenfalls als Herzogin Eleonore oder als Sülfmeistergattin. In einer relativ neuen Erlebnisführung unter dem Motto „Raus aus dem Korsett“ erzählt sie vom Leiden und Mut der Frauen vergangener Zeiten und in Lüneburg. Die gelernte Fotografin – oder Lichtbildnerin, wie sie sich auch nennt – nutzt ihr großes Wissen ebenfalls dazu, Theaterstücke mit historischem Hintergrund zu schreiben, die dann etwa während der Lüneburger Museumsnacht aufgeführt werden. Zusätzlich arbeitet sie an einem Kalender für den Arbeitskreis Lüneburger Altstadt (ALA).
Eher im Verborgenen erfüllt sie noch eine weitere Aufgabe, ohne die sowohl die Handwerkerstraße am 3. und 4. September als auch der Christmarkt (3. und 4. Dezember) rund um die St. Michaeliskirche so nicht möglich wären. Als so genannte Gewandmeisterin ist sie seit 2003 die Herrin über mehrere hundert Gewänder, mit denen die Mitwirkenden beider Märkte stilgerecht eingekleidet werden. „Den Grundstock hat ein Nähkreis schon vor rund 30 Jahren geschaffen“, berichtet Verena Fiedler. So langsam nage aber der Zahn der Zeit an etlichen Modellen. Auch durch die Vergrößerung der beiden Veranstaltungen benötige man weitere Gewänder – viel Arbeit also für die dynamische und engagierte Lüneburgerin, die gemeinsam mit ihrer Schwester Cornelia Böhme und Schneidermeisterin Michaela Rosseburg zu Werke geht. „Pflegen, reinigen, stopfen und ergänzen, und zwar das ganze Jahr über“, bringt sie es auf den Punkt.
Am kommenden Wochenende zur Handwerkerstraße wird dann wieder Hochbetrieb herrschen in den engen Räumlichkeiten im ersten Stock des mittelalterlichen Speichers Am Iflock. Dann müssen innerhalb kürzester Zeit alle Händler und die ehrenamtlichen Helfer wie Wurstbrater und Stadtknechte eingekleidet werden. Eine Hilfe sind Karteikarten, die Auskunft über Rocklänge und Körpergröße des „Stammpersonals“ geben. Schwierig werde es, wenn die Händler nicht in der eigentlich geplanten Zusammensetzung anreisen. „Statt zweier Frauen kommen plötzlich zwei Männer“, so die Gewandmeisterin. Dann müsse noch schnell improvisiert werden, um dennoch ein passendes Outfit für den Markt aus der Zeit der Renaissance zusammenzustellen.
Am Samstagabend nehmen die drei Frauen dann die benutzten Hemden voller Kohlenstaub, Bratwurstfett oder Senf mit nach Hause. Dort wird die Kleidung gewaschen und mit Hilfe von Kaminen und anderen verfügbaren Wärmequellen getrocknet, schließlich gebügelt und am Sonntag wieder als saubere Weißwäsche zur Verfügung gestellt. Wenn schließlich nach Ende der Handwerkerstraße alle anderen schon zu Hause sind, brennt im alten Speicher noch Licht, und Verena Fiedler und ihre Mitstreiterinnen sichten und sortieren Berge von mittelalterlichen Gewändern. In drei Monaten werden diese schon wieder gebraucht.(cb)
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