Magazin über das Leben in Lüneburg
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Blick in die Vergangenheit

geschrieben von Prof. Dr. Werner H. Preuß im Juli 2012

Die älteste realistische Ansicht des Lüneburger Hafens

Im Zusammenhang mit dem Hansetag 2012 wurde deutlich, dass der alte Hafen früher eine sehr wichtige Rolle im Wirtschaftsleben Lüneburgs eingenommen hat. Doch wie soll man sich das Treiben dort um 1500 vorstellen? Realistische Bildquellen fehlen. Eine Buchmalerei mit dem ­Titel „Van schiprechte“ (Vom Schiffsrecht) im Hamburgischen Stadtrecht aus dem Jahr 1497 gibt einige Anhaltspunkte: Die Miniatur zeigt nicht Hamburg, sondern einen typischen Hafen, vielleicht sogar die Zusammenschau eines Binnen und eines Hochseehafens. Links im Vordergrund steht ein Tretkrahn wie in Lüneburg, rechts ein großes Gebäude, in dem Gerichtsherren auf einer Bank sitzen und Streitfälle „am grünen Tisch“ entscheiden. „Mit diesen Richtern verhandeln drei Männer mit unbedecktem Haupte“, erläutert der Hamburger Geschichtsforscher Johann Martin Lappenberg 1845 das Geschehen. „Diese so wie die übrigen Leute auf diesem Bilde sind einfach gekleidet; sie sind meistens Reeder, Schiffer und

Schiffsknechte. Unter den Trachten sind nur der zurückgeworfene, gezackte, rote, gelb gestickte Mantelkragen des Mannes, welcher dem Beschauer den Rücken zukehrt, hervorzuheben, sowie die weiten hellen Beinkleider des alten Schiffers.“ Auch im Lüneburger Kaufhaus und seinen Vorläuferbauten gab es ein Büro, in denen Zoll-, Transport- und Lager­probleme verhandelt und entschieden wurden.

Die Form der Binnenschiffe, Ever und Prahme, die auf dem Bild in der Nähe der Ufer zu sehen sind, blieb bis zum Ende des 19. Jahrhunderts beinahe unverändert. Sie machten auch im ­Lüneburger Hafen fest. Eine hochseetüchtige Hanse-Kogge hat hier dagegen nie angelegt. Im Mittel- und Hintergrund zeigt die Hamburger Miniatur sogar Schiffe vom größeren Typ Holk, die nicht nur mit einem Mast, wie die Kogge, sondern mit drei Masten versehen und mit Kanonen bewaffnet waren.

Die älteste realistische Ansicht des Lüneburger Hafens ist sehr viel jünger. Der Künstler A. Leman, über dessen Biografie ich leider nichts ermitteln konnte, hat sie gerade noch rechtzeitig angefertigt, bevor das Leben im Hafen nach der Verlagerung des Transports vom Fluss auf die Schiene im Jahre 1847 erstarb. Am 12. August 1841 ließ er in den „Lüneburgschen Anzeigen“ die Ausstellung eines Probeblattes „Lüneburg’s lithographirte Ansichten“ im Gasthaus „Schütting“ am Markt (heute: Buchhandlung am Markt) ankündigen. Am 17. August könne man es in Augenschein nehmen und am ­folgenden Tag bestellen. Die Lithographien besorgte Carl Alexander Lill, den Druck übernahm F. J. Stock in Hamburg. Nachdrucke des Blattes waren vor einigen Jahren im Museum Lüneburg zu erwerben.

Die aquarellierten Vorzeichnungen zu dem Souvenirblatt lassen sich auf 1829 datieren. Eine Ansicht zeigt das Johanneum, das 1829 errichtet ­wurde, ein anderes die Kavallerie-­Kaserne, die im Dezember 1828 bezugsfertig wurde. Im Hintergrund desselben Bildes ist noch völlig intakt der 1830/32 abgebrochene Turm der St. Nicolaikirche zu erkennen. Die Aquarelle wurden also 1829 angefertigt und ruhten zwölf Jahre in der Mappe des Künstlers, bevor sie im Druck erschienen.

Lemans Aquarell des Kaufhauses und der Wall­brücke ist das älteste erhaltene naturgetreue Bild des Lüneburger Hafens. Es zeigt einen Sommer­abend. Der Künstler steht auf der Höhe des Schifferwalls (heute jenseits der Reichenbach­brücke) und schaut nach Süden. Ganz lebendig wirkt die geschäftige Szene, heiter wehen die weißen Segel und bunten Wimpel im Wind, frisch leuchtet die weiß gestrichene Fußgängerbrücke. Sie war erst 1827 gebaut worden und bestand, bis sie 1893 durch die Reichenbachbrücke ersetzt wurde. Zwischen den Pfeilern lässt sie sich bei Bedarf aufklappen, um den Evern, den für Lüneburg typischen Frachtschiffen, die Durchfahrt zu erleichtern. Man konnte die Masten allerdings auch ganz leicht umlegen, indem man einen Holzpflock herauszog.

Die grün gestrichene Kajüte ist tonnenförmig. Ähnliche Boote gab es schon zur Hansezeit um 1400. Durch Staken mit langen Stangen bewegen zwei Schifferknechte den voll beladenen Kahn stromaufwärts. Vor der Brücke erkennt man am rechten Ufer das niedrige „Baumhaus“, in dem der Hafenwärter wohnte, daneben das Schilderhaus, einen Wächter und den sogenannten „Hafen­baum“, bestehend aus einer hölzernen Sperre und einer eisernen Kette im Wasser, der den Hafen des Nachts versperrte.
Das zweigeschossige Gebäude mit der auffälligen Tordurchfahrt auf der rechten Seite hinter der Brücke ist das Impost-Gebäude (Zollamt). Von ihm leicht verdeckt wird der Visculen-Turm, der etwa 20 Meter dahinter steht. Der massive Turm, der um 1830 keinen anderen Zweck mehr erfüllte, schützte das Haus während der jährlichen Februar­hochwasser vor Eisgang. Er stand für sich und war noch um 1800 mit dem Haupthaus des Viskulenhofes über eine hölzerne Brücke in der Höhe des ersten Stockwerks verbunden. Das Haupthaus war ehemals vermutlich länger als heute und reichte nach Norden bis an die Baumstraße. In einer alten Lüneburger Chronik wird berichtet, dass die Patrizierfamilie Viscule eine Hauskapelle besessen und zu den Messen im Turm Glocken habe läuten lassen.

Der Turm gehörte vermutlich zu den ersten Steingebäuden Lüneburgs. Er diente als beheizbarer Wohn- und Lagerraum oder als die erwähnte Ka­pelle und wurde zwischen 1600 und 1800 um mindestens ein Stockwerk erhöht. Dabei wurde der First auch gedreht. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts brachte man den Turm nicht mehr mit dem Visculenhof in Verbindung. Man sprach vom „Koop­mannschen Wohnturm“. Am 19. Juli 1847 wurde er auf Abbruch verkauft.

Am linken Ufer mündet der kleine Lösegraben verdeckt durch die Kaimauer in die Ilmenau, der vor der Abts- und der Lüner Mühle als Freirinne von der Ilmenau abzweigte. Er diente zur Regulierung der Wasserzufuhr auf die Mühlräder. Die Insel zwischen dem kleinen Kanal und der Ilmenau bezeichnete man als Werder. Vor dem rückwärtigen Giebel des Kaufhauses steht eine von mehreren überdachten Umlenkrollen am Hafenkai. An der anderen Seite des Gebäudes erwartet man den Alten Kran. Er ist jedoch nicht im Bild. Sein Hals ist offenbar dem Land zugedreht.

Rechts von dem eindrucksvollen Kaufhaus sieht man jenseits der Kaufhausbrücke den Abtswasserturm, dann die „kleine Abtsmühle“ auf der Mühlen­insel, daneben die fünf großen Mühlräder, die zwischen ihr und der „großen Abtsmühle“ rollten, dem Wohnhaus des Müllers an der Straße Bei der Abtspferdetränke. Es wird von einem Segel verdeckt. Über die Mühlräder hinweg erblickt man das Dach eines Hauses. Es stand am Anfang des „Heringsstegels“. So hieß eine Fußgängerbrücke, die von der Gasse Hinter der Altenbrücker Mauer (heute ­Ilmenaustraße) auf die Mühleninsel führte und von dort um den Abtswasserturm herum (heute „Brausebrücke“) auf das Werder. Rechts von dem Dach erscheint der gotische Giebel eines stattlichen Hauses an der Conventstraße. Im Hintergrund überragt St. Johannis das gesamte Ensemble.
Da Lemans Aquarell bisher gänzlich unbekannt war und erst vor kurzem von Jürgen Oetke im Museum aufgefunden worden ist, habe ich es reproduziert und zum Hansetag in geringer Zahl auflegen lassen. In den Lüneburger Buchhandlungen ist das Blatt zum Preis von 20,00 Euro erhältlich.

Die Mitglieder der Schiffervereinigungen hatten in St. Nicolai reservierte Plätze. Auf der linken Bank­wange ist ein Anker, auf der rechten sind zwei gekreuzte Stangen mit Haken zu sehen. Mit ihrer Hilfe wurden die Frachtsegler vom Ufer ferngehalten oder an der Kaimauer eingehakt und gezogen.

Grafik: Werner H. Preuß, Museum Lüneburg, Repro: Werner H. Preuß, Museum Lüneburg