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Wege aus der Sucht

geschrieben von Irene Lange im Juni 2018

Mit Hilfe der Guttempler Gemeinschaft Lüneburg den Weg in ein abstinentes Leben finden: Die Organisation ist der größte nichtkonfessionelle Selbsthilfeverband weltweit

Haben die Guttempler nicht etwas mit den Tempelrittern zu tun?“ Schließlich gehören sie dem Deutschen Guttempler-Orden (I.O.G.T) an. „Oder sind das diejenigen, die dem Alkohol abgeschworen haben?“, mag sich manch einer fragen, der an der Hauswand der Wallstraße 42 in Lüneburg das Schild mit der Aufschrift „Guttempler“ entdeckt.
Bei einem Besuch in den Räumen der Gemeinschaft gibt Karl-Heinz Nickel gern Auskunft, was es mit deren Grundsätzen auf sich hat. Wie er erklärt, spielt die Abhängigkeiten von Suchtmitteln wie Alkohol, Drogen oder Nikotin tatsächlich eine Rolle, aber genau so jede weitere Form psychischer Erkrankungen.
Die Guttempler bieten in Gesprächsgruppen ehren­amtliche Hilfe für Betroffene und Angehörige an, ein starker Pfeiler in der Suchtpolitik. Seit über 125 Jahren sind die Guttempler auch in Deutschland ansässig. Gegründet wurden sie 1851 in den USA als Abstinenzorganisation unter dem Namen „Order of Good Templars“. Von dort breitete sich der Orden über England und Skandinavien und schließlich auch nach Deutschland aus. 1889 wurde der Deutsche Guttempler-Orden in Flensburg gegründet. Elf Landesverbände existieren derzeit, die wiederum lokale Selbsthilfegruppen unter­halten. Lüneburg gehört zum Landesverband Niedersachsen und konnte im Mai dieses Jahres bereits 40-jähriges Bestehen feiern.
Karl-Heinz Nickel ist als Suchthelfer seit vielen Jahren bei den Guttemplern in Lüneburg tätig. Auch er war – wie er selbst erzählt – Mitte der 80er-­Jahre alkoholkrank, es fehlte nicht viel und seine Ehe wäre daran zerbrochen. Als Postbeamter in Hannover versah er damals noch zuverlässig seinen Dienst. Doch wann wäre der Zeitpunkt dagewesen, wo er den Schein nicht mehr hätte aufrecht halten können? Er suchte Hilfe in einem ersten Gespräch bei der Landwehr e.V., dem Langzeitwohnheim für Suchtkranke in Bardowick. Das brachte ihn zu der Einsicht: „Wenn ich meine Familie nicht zerstören will, muss ich aufhören!“ Er schaffte es. Seit 1985 trinkt er keinen Tropfen ­Alkohol mehr, seine Ehe hat er damit gerettet. Schon damals trat er in Hannover in die Guttempler-­Gemeinschaft ein.
1991 kam er nach Lüneburg, um sich auch hier weiterhin in der Vereinigung zu engagieren. Er absolvierte eine Ausbildung im Sozialwesen und mehrere Lehrgänge, bevor er zum Suchtkrankenhelfer ernannt wurde. Seit 2000 zählt er zum Vorstand, seit 2013 hat er den Vorsitz übernommen.
Ohne Ausnahme steht für ihn der Mensch im Mittelpunkt. „Wir freuen uns über jeden Einzelnen, der den Mut aufbringt und eine Veränderung in seinem Leben herbeiführen möchte“, betont Karl-Heinz Nickel. Jeder sei willkommen, der Hilfe zur Selbsthilfe annehmen möchte. „Kein Problem ist uns wirklich unbekannt“.

Ziel der Guttempler ist es, Abhängigkeiten jeglicher Art zugunsten einer bewussten und positiven Lebenseinstellung abzulegen.

Dabei geht es nicht nur um Abhängigkeit von Alkohol, Medikamenten oder Drogen. Die Psyche eines Menschen kann von vielen Störungen heimgesucht werden, die ohne Hilfe nicht zu bewältigen sind. Zu einer echten Lebenshilfe können da Einzel- oder Gruppengespräche durch geschulte Helfer werden, die es den Menschen ermöglichen, den Weg zurück in ein selbstbestimmtes und zufriedenes Leben zu finden.
Ein Besuch bei den Guttemplern ist kostenfrei, vertraulich und anonym, falls dies gewünscht wird. Einmal pro Woche trifft sich die Gesprächs­gruppe, in der alles angesprochen werden kann, was die Teilnehmer bewegt – nicht nur die Suchtbehandlung. Manch einer lässt sich von einer Vertrauensperson begleiten. Überhaupt sei ein wichtiger Grundsatz die bedingungslose Vertraulichkeit. „Wer zu uns kommt, betritt einen geschützten Raum“, betont Karl-Heinz Nickel. Ist einmal mehr Hilfe nötig als die Guttempler in der Lage sind zu geben, greift die Organisation auch auf das Angebot von Beratungsstellen und Therapieeinrichtungen zurück, mit denen sie einen regen Austausch pflegt.
„Enthaltsamkeit, Brüderlichkeit, Frieden“ sind die Säulen des Guttempler-­Ordens. Die Enthaltsamkeit bezieht sich auf den freiwilligen Verzicht von persönlichkeitsverändernden Suchtmitteln. Der Begriff Brüderlichkeit meint die Toleranz gegenüber den Mitmenschen, die Bereitschaft zur Hilfe, ohne eine Gegenleistung zu fordern. Seinen inneren Frieden kann jeder selbst herstellen: indem er sich bewusst entscheidet, Konflikte ohne Gewalt zu lösen und tolerant gegenüber Glaubensrichtungen, Ideologien und Kulturkreisen zu sein.
Ziel ist es, Abhängigkeiten jeglicher Art zugunsten einer bewussten und positiven Lebenseinstellung abzulegen. Auf diesem Weg die notwendige Hilfestellung zu leisten, betrachten auch die Lüneburger Guttempler als ihre Pflicht. Das Guttempler-Bildungswerk Landesverband Niedersachsen e.V. bietet Ausbildungen zur ehrenamtlichen Suchthelferin bzw. Suchthelfer an. Bei Interesse erteilt Karl-Heinz Nickel gern Auskunft. Erreichbar ist er unter der Telefonnummer (04131) 60 41 448 oder Mobil unter (0170) 24 66 925. Weitere Informationen finden Sie unter www.guttempler-
lueneburg.de.(ilg)

Fotos: Enno Friedrich

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