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Weihnachten 1918

geschrieben von Iene Lange im November 2018

Wie man in Lüneburg nach vier bitteren Kriegsjahren das erste Weihnachtsfest in Frieden verbrachte

Es war in der Weihnachtszeit 1918, als sich für Lüneburg der Erste Weltkrieg seinem ­Ende zuneigte, obgleich in anderen Teilen des Landes noch Aufruhr und Revolution herrschte. Viele trauerten um gefallene Ehemänner, Väter, Söhne oder Freunde, die im „Felde der Ehre“ ihr Leben gelassen hatten. Besinnlich wurde dieses erste Christfest im Frieden nicht. Doch der Lüneburger Hausfrauenverein für Stadt und Land befand: „Echte Weihnachtsstimmung ist in dieser Zeit nötiger denn je“ und lud ins Evangelische Gemeindehaus zur gemeinsamen Feier ein.
Man darf annehmen, dass viele die weihnachtlichen Gottesdienste der Kirche besuchten. Am Heiligabend, der in jenem Jahr auf einen Dienstag fiel, fand in St. Nicolai eine Christvesper mit Pas­tor D. Rauterberg statt. In St. Johannis zelebrierte Stadtsuperintendent Paul Wachsmuth den Hauptgottesdienst am Vormittag; in St. Michaelis war es Pastor Walther Egebrecht und in St. Nicolai Pastor Mund. Wie andächtig mag wohl das bekannteste Weihnachtslied „Stille Nacht, heilige Nacht“ gesungen worden sein. Just in 2018 war es 100 ­Jahre zuvor erstmals vom Organisten Franz Xaver Gruber und Hilfspfarrer Joseph Mohr in Österreich gespielt worden.
Am 2. Weihnachtstag hatte die Sport-Vereinigung „Eintracht v. 1903“ zu einer Weihnachtsfeier mit Konzert, Theateraufführungen und Tanz ins erste Haus am Platze, dem Wellenkamp-Hotel, eingeladen. Täglich um 17.00 und 20.00 Uhr gab es Kinovorführungen in den damaligen Hansa-­Lichtspielen. Gezeigt wurden so genannte „Klasse-Filme“, darunter „Vertauschte Seelen“ mit Bruno Decarli, oder das pikante Schauspiel „Ein Blitzmädel“ mit Lu l’Arronge.

„Gedenke täglich deiner staatsbürgerlichen Pflichten, lies Zeitungen verschiedener Richtungen. Du musst jetzt Zeit dafür erübrigen.“

Der Vorstand des Artlenburger Männer-Turn-Vereins veranstaltete zu Ehren der aus dem Felde heimkehrenden Kameraden einen bunten Familien­abend, verbunden mit Theater, Konzert und Turnvorführungen. Per Annonce in den „Lüneburgsche Anzeigen“ meldeten sich aus dem Feld heimgekehrte Lüneburger Söhne zurück, so auch der Dentist Wilhelm Meyer und der Tierarzt Wolfsberg, die ihre Praxen in vollem Umfang wieder eröffneten. Letzterer verstarb 1936, während seine Frau mit den beiden Kindern nach Auschwitz verschleppt und dort ermordet wurde. Ein Stolperstein in der Schießgrabenstraße erinnert heute an die jüdische Familie.
Die Nächstenliebe schien auch in den Kriegszeiten nicht verloren gegangen zu sein. Der Direktor des Johanneums, Dr. Rudolf Weynand, konnte die von den Schülern gesammelten 200 Mark als Weihnachtsgabe an den Stadtsuperintendenten Paul Wachsmuth übergeben. Auch der Soldatenrat wollte nicht hintenan stehen: Er übergab Schwes­ter Emmy Walz vom Städtischen Krankenhaus für die Armen einen Schinken, Butter, Eier und Wurst.
Wenn es überhaupt Süßigkeiten gab, so waren diese Mangelware, ein Stückchen Schokolade eine Kostbarkeit. Doch nach Bekanntgabe es Magistrates der Stadt Lüneburg gab es ab dem 22. Dezember in einigen Geschäften diese Leckerei zu kaufen, allerdings nur für Kinder und Kranke. Auf Lebensmittelkarte durften pro Person 8 Rippen zum Preis von 8 Pfennig das Stück erworben werden. Statt knusprigem Gänsebraten mussten die meisten Familien mit einem rationierten Stück Pferdefleisch vorlieb nehmen – dies zu bekommen war längst nicht selbstverständlich.
Immerhin gab es für die Lüneburger Frauen ein besonderes Geschenk: Seit dem 12. November 1918 war auch für sie das Wahlrecht eingeführt worden, verbunden mit der Aufforderung: „Gedenke täglich deiner staatsbürgerlichen Pflichten, lies Zeitungen verschiedener Richtungen. Du musst jetzt Zeit dafür erübrigen.“ Ob aber die ­Damen von nun an Heim und Herd zugunsten ­politischer Interessen vernachlässigen durften? Wohl eher selten, denn in den damaligen Zeiten war die Rolle der Frau trotz des Wahlrechts immer noch streng konservativ. Es galt der Familie insbesondere zu Weihnachten durch emsige Haus­arbeit ein schönes Fest zu bereiten – sicher auch in Lüne­burg.(ilg)
Fotos: Archiv Hajo Boldt

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